Wie geht es Mittelständlern in Deutschland, die mit Standortnachteilen, Konkurrenzdruck und der erratischen US-Zollpolitik zurechtkommen müssen? Die ARD hat fünf Firmen über Monate begleitet.
Es ist März 2025, als die Nachrichten mit einem neuen Thema aufmachen. „Die Zollankündigung des US-Präsidenten löst weltweit Turbulenzen aus“. Da hatte Andreas Kraut, CEO des Waagen-Herstellers Bizerba im schwäbischen Balingen, schon einen Teil der Produktion von China nach Serbien verlegt, um frühere US-Strafzöllen gegen China zu umgehen. Nun treffen sie ihn auch in Serbien. „Es ist kaum noch kalkulierbar“, sagt Kraut. Und wer wisse schon, wann „dem Trump oder wem auch immer dann wieder was anderes einfällt“.
In US-Häfen stauen sich derweil Container. Manche werden sogar unverzollt wieder zurück nach Deutschland geholt. Im Video-Meeting weltweiter Bizerba-Standorte meldet sich der US-Vertreter aus Richmond mit einem Update. „Unsere Einfuhren werden immerhin vom Zoll nicht mehr zurückgehalten“, berichtet er. „Wir geben Daten durch, sobald wir können.“
In Waldbrunn im Odenwald, im Stammwerk des Verpackungsanbieters Mosca, treibt Firmenchefin Simone Mosca die gleiche Krise um. Zu Hause großteils Kurzarbeit, die deutsche Wirtschaftspolitik nebulös, nun auch noch Zollkrieg. Ihre Durchhalte-Devise: „Nicht überreagieren, Panik bringt auch nichts.“ Ungleich heftiger taumelt der Thüringer Porzellanbrenner Kahla, seit ihn die gestiegenen Gaspreise aus der Bahn warfen. „Wir wissen nicht, ob es uns im Herbst noch gibt“, gesteht uns Eigentümer Daniel Jeschonowski, „aber wir sind kämpferisch.“
Zölle an US-Endkunden weitergeben
Kämpferisch und genervt. Beim Maschinenbauer Greif-Velox in Lübeck rührt die Kantinenchefin Kuchenteig für die jährliche Hausmesse an. „Was Trump da abzieht“, winkt sie ab, „da findet man keine Worte mehr für.“ Geschäftsführer Sebastian Pohl gesteht: „Wir führen das Unternehmen gerade auf Sicht.“ Aber was sieht er denn? Sein Geschäftspartner aus Kalifornien erklärt es uns: „Wir müssen die Zölle an unsere amerikanischen Endkunden weitergeben, sonst verdienen wir nichts mehr.“ Aber wenn man Produkte verteuere, verkaufe man auch weniger.
Gastgeber Pohl bereitet gerade eine Japan-Reise vor, um schon mal um Neukunden zu werben. Greif-Velox baut eine Art Abfüllroboter für feinkörnige Industriegüter. Ein Erfolg in Japan könnte den Druck vom US-Geschäft nehmen. Und dann ist da noch die Winzerfamilie Lucas im pfälzischen Forst, der noch Trumps ultimative Drohung in den Gliedern steckt. „Bei 200 Prozent Strafzöllen auf unseren Riesling waren hier alle nur noch schockiert“, sagt Christine Lucas. Prompt habe ihr US-Importeur alle Bestellungen gestoppt.
Ein Mann arbeitet im Mosca-Werk in Hazleton im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Merz versucht, gute Stimmung zu verbreiten
Fünf Firmen im Frühjahr. Dazu drücken Mindestlöhne, Bürokratie und Steuerlast. Als im Mai der Bundeskanzler Hoffnung weckt, hoffen sie mit. „Ich möchte“, erklärte Friedrich Merz, „dass Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren, es geht voran.“ Tatsächlich misst das Münchener ifo-Institut in den Folgemonaten bei Unternehmen Anzeichen von Hoffnung. Doch ihre reale Auftragslage wird nie nachziehen.
War Merz also zu kühn? Seine Wirtschaftsministerin nimmt ihn im Interview in Schutz. „Man braucht schon eine positive Vision, sonst macht ja keiner mit“, sagt Katherina Reiche. „Optimismus war und ist richtig, weil unser Land ja viel kann.“ Aber woran fehlt es dann? „Vielleicht sind es einfach Taten“, antwortet Simone Mosca. „Also der Ruck, der wirklich durchgeht.“ Man spüre einfach die Investitionszurückhaltung, sagt sie. Man selbst warte ja auch noch ab. Und so gehe es dann auch den Kunden.
Sommer. Ortswechsel in die USA. Vor dem Mosca-Werk in Pennsylvania flattern Fähnchen, auf denen die Firma Jobs anbietet. Zudem modernisiert Mosca hier eine komplette Fertigungsstraße. Weil der US-Präsident mehr Druck machte als Merz? „Es kann natürlich sein, dass man sich durch Donald Trump genauer überlegt, wo wächst man jetzt erst mal schneller“, formuliert es Mosca. Aber man wolle auch zuhause weiterwachsen.
Schlaflose Nächte dank Handelskrieg
In Richmond, Virginia, treffen wir dann wieder auf Jeffrey Roberts, der im Frühjahr zum Bizerba-Meeting geschaltet war. Er erzählt uns, wie sehr der Handelskrieg an ihm zehrte: „Ständig konferieren, diskutieren, Optionen liefern, dann wieder alles anders, wieder anpassen, nur noch schlaflose Nächte.“ Während er am Stehtisch die Tastatur bedient, läuft er nun darunter in Turnschuhen auf einem Laufband.
Abends kommt CEO Andreas Kraut an, auf Durchreise zu einer Fachmesse. Auch er hat dem Druck der US-Administration nachgegeben, sogar die New York Times schrieb darüber. „Im Kontext der Zölle“, nennt er es, „haben wir Investitionen hier schneller realisiert.“ Und was ist mit Deutschland? „Sowohl zu Hause als auch international“, so Kraut, „werden viele Unternehmen auch wieder einen Weg zu Wachstum finden.“
Als sich das Herbstlaub färbt, wird es Zeit nachzusehen, ob bei Kahla in Thüringen noch Licht brennt. Es brennen sogar die Öfen. Wie kam es? „Wir fahren unseren Betrieb komplett anders als vor Jahren, haben den Gasverbrauch halbiert.“ Wichtiger noch sei aber die Motivation der Mitarbeiter gewesen, die sich angespornt hätten. Bis dahin sei man schon in allem gut gewesen, aber nicht schnell genug, sagt Jeschonowski. „Und wir haben gemerkt, dass uns von außen keiner hilft.“
Signal, dass sich die Wirtschaft selbst helfen muss
Geht ausgerechnet von hier, wo wir es am wenigsten erwartet haben, am deutlichsten die Botschaft aus, dass sich die Wirtschaft auch selbst helfen muss? „Gerade im Mittelstand ist ja die Risikobereitschaft häufig höher“, lobt Ministerin Reiche. „Wenn mir der Staat jedes Risiko abnimmt, hindert das Wachstum und auch einen Unternehmergeist, der schon immer darauf angelegt war, dass man auch mal scheitern kann und sich korrigieren muss.“ Nach einer Schulnote für das Jahr 2025 gefragt, antwortet sie: „Eine Drei.“ Ob das auch für die Regierung gelte? „Auch wir“, beteuert sie, „müssen besser werden.“
Winzerin Christine Lucas von Pfälzer Weingut Lucashof im Weinberg
Der Rest ist schnell erzählt. Sebastian Pohl findet in Japan einen Papiersackhersteller, der das Lübecker Packverfahren im Lande etablieren will. Und in Forst an der Weinstraße teilt sich das Weingut Lucashof die Zollkosten weiter mit den US-Importeuren, damit die US-Kunden nicht leiden. Die Lese gerät in der Menge bescheiden, aber gut in der Qualität. Das sei der Lauf der Natur, sagt Christine Lucas. Ähnliche Demut empfindet sie gegenüber der Sachbearbeiterin, die ihr die Zollunterlagen ausstellte, als Trumps 200-Prozent-Drohung wieder vom Tisch war. „Ich habe ihr gesagt, bitte, der Container fährt in den Hof, wir brauchen die Papiere. Und dann sagte sie netterweise: ‚Zehn Minuten.‘ Dann denkst du, Gott sei Dank, und kriegst das Heulen.“

