Wirklich überraschend kam die Nachricht, dass JD.com bei Ceconomy, der Muttergesellschaft hinter Mediamarkt und Saturn, einsteigt, für viele Beobachter:innen des deutschen E-Commerce nicht – wohl eher war es der Zeitpunkt, der unerwartet kam. Schon 2018 und 2019 hatten Handelsexpert:innen über den Einstieg bei einem oder mehreren der großen Player des westeuropäischen E-Commerce spekuliert, der Name Ceconomy fiel neben einigen anderen auch damals schon. 2023 gab es konkretere Gerüchte, aber eben auch noch nichts Handfestes. Damals wie heute ist das Unternehmen auf dem besten Weg, sich channel-übergreifend zu transformieren, hat einen guten Teil des Weges vom Elektronikfilialisten zum Omnichannel-Commerce-Handel geschafft – und könnte dennoch von den Veränderungen, die eine derartige Übernahme mit sich bringt, profitieren.
Denn, das wird auch in den Reihen von Mediamarkt und Saturn kaum einer bestreiten, es gibt eine Vielzahl an Baustellen – angefangen bei den in die Jahre gekommenen Filialen, die nach und nach durch einige Flagship Stores und neuerdings auch kleine Filialen in den Innenstädten ergänzt werden, über die Erschließung zusätzlicher Produktgruppen und zusätzlicher Dienstleistungen – bis hin zur (eher für Hersteller interessanten) Erschließung der Filialen als Marketingflächen für Brands und ihre Markenwelten.
In jedem Fall ist die Übernahme von Ceconomy durch den chinesischen Technologie-Anbieter und Onlineshop-Betreiber JD.com eine Zeitenwende. Denn auch wenn der Ceconomy-CEO Kai-Ulrich Deissner betont, man wolle die unabhängigen IT-Systeme und den Technologiestack beibehalten und könne durch den neuen Partner aus Fernost „unseren erfolgreichen Wachstumskurs nochmal forcieren und über unsere aktuellen strategischen Ziele hinauswachsen“, klingt das nach vielen Veränderungen, die mittelfristig auf das Handelsunternehmen zukommen.
Markenführung und Produktentwicklung im Schnelldurchlauf
Das hat vor allem mit dem grundlegend anderen Mindset im Handel zu tun, das wir aus China kennen. Denn dort herrschen komplett andere Gesetze und Mechanismen als in der westlichen Welt. Das Produktmanagement ist deutlich agiler als wir es kennen. Etwa werden Dutzende Varianten eines Produktes auf den Markt geworfen – und was sich verkauft, darf bleiben, was nicht über die Ladentheke geht, wird schnell wieder aus dem Sortiment genommen. Extrem zahlen- und datengetrieben laufen diese Entscheidungen ab – und westliche Handelsexpert:innen haben kaum Einblicke, wie erfolgreich so etwas dort ist und wie erfolgversprechend es für westliche Märkte sein kann.
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Ähnliches gilt für die Art des Verkaufens. JD.com ist deutlich plattformgetriebener als es Mediamarkt je sein könnte. Hinzukommt das Gamification-Modell, das wir bereits von Temu und anderen asiatischen Plattformen kennen. Unklar ist, wie viel davon im deutschen Präsenzhandel möglich und sinnvoll ist. Inwieweit JD.com sein Know-how in Sachen Logistik, Kundenanalyse und KI-Tools einbringt, also jene Prozesse hinter den Kulissen beschleunigt und optimiert, wird sich zeigen. Verändern wird sich sowohl für die Unternehmensführung in Ingolstadt als auch für die Verkäufer:innen in den Filialen einiges.
Türöffner und Lernplattform, wie der europäische Markt „tickt“
Auch wenn die genauen Modalitäten des Deals nicht kommuniziert wurden, dürfte klar sein, dass sich der chinesische Handelskonzern für sein investiertes Geld einiges erwartet. Kurzum: Ceconomy ist ein Türöffner und ein Testballon für den europäischen Markt. Hier wird mit Hilfe bestehender Marken und Kund:innenbeziehungen der Markt studiert – sowohl online als auch an den stationären Handelsstandorten in den Innenstädten und Industriegebieten. Doch da ist noch mehr. Es geht um Credibility im deutschen und in den europäischen Märkten, die die sich JD.com mit dem Investment schaffen will.
Dass der ohnehin schon bei Mediamarkt und Saturn zu beobachtende Trend, dass die Filialen im Rahmen eines hybriden Modells zu Fulfillment-Zentren für schnelle Lieferungen fungieren, noch forciert wird, dürfte klar sein. Zugleich könnte JD seine eigenen Handelsmarken – etwa im Bereich Unterhaltungselektronik, Smarthome oder Haushaltsgeräte – in das Ceconomy-Ökosystem einspeisen. Das wäre nicht nur wirtschaftlich lukrativ, sondern würde auch die Abhängigkeit von den westlichen OEMs und Zulieferern reduzieren. Für die Kund:innen der Elektronikhändler:innen würde das keine allzu große Umstellung bedeuten, denn sie kaufen seit Jahren auch mehr oder weniger austauschbare Produkte von Eigenmarken wie OK oder Koenic. Diese Billigschiene ist seit Jahren ein fester Bestandteil des Angebots.
Das Change Management nicht vernachlässigen
Doch auch Mediamarkt und Saturn können gewinnen – einst Platzhirsche im stationären Elektronikhandel tun die beiden Marken sich seit Jahren schwer darin, die Grenzen zwischen E-Commerce und Präsenzhandel zu brechen. Die Online-Umsätze steigen zwar – aber nicht im branchenüblichen Tempo – und die Margen bleiben unter Druck, obwohl die Positionierung zwischen preisgetriebener und beratungsgetriebener Unternehmenskultur nach und nach abnimmt. Neu diskutiert werden könnte dabei die Frage, ob – wie zurzeit zu beobachten – die Marke Saturn immer mehr zugunsten der roten Mediamarkt-Logos aus den Filialen verschwindet oder ob beide Marken unterschiedlich positioniert werden.
Eine offene Frage bleibt (ganz unabhängig von der Markenführung) die nach der Akzeptanz durch die Kund:innen und Mitarbeitenden. Denn die strategischen Chancen sind das eine, wenn im politisch aufgeheizten Klima rund um Themen wie digitale Souveränität und wirtschaftspolitische Einflussnahme durch chinesische Tech-Giganten gesprochen wird. Wie das technologiegetriebene Mindset zur bisherigen Kultur bei Ceconomy passt, vermag niemand wirklich zu beurteilen. Fragt man Personen, die das Unternehmen von innen kennen, wird schnell klar, dass es hier massive Hindernisse und Bedenken gibt, die das Change Management nicht einfach machen dürften. Ob und wie die Mitarbeitenden mit der Schlagzahl eines solchen Umbruchs klarkommen werden, bleibt abzuwarten.
Weckruf für den europäischen Handel
Kurzum: JD.coms Einstieg beim europäischen Elektronikhändler signalisiert mehr als nur ein Investment: Es ist der nächste logische Schritt in einem globalen Wandel, in dem JD.com längst nicht mehr bloß der „chinesische Amazon“ ist, sondern ein Tech-Konzern mit Ambitionen auf Weltniveau. Für den europäischen Handel – weit über die Branchen der Consumer-IT und Unterhaltungselektronik hinaus – sollte der Einstieg bei Ceconomy ein Weckruf sein. Denn die Learnings werden darüber mitentscheiden, wie sich der Handel verändert und wie wir in Zukunft (auch) einkaufen werden.
Ob diese spannende Wette auf die Zukunft von Mediamarkt Saturn aufgeht, hängt somit nicht nur vom den finanziellen Rahmenbedingungen ab, sondern vor allem auch davon, wie offen und lernfähig das deutsche Traditionsunternehmen ist. Spannend dürfte aber vor allem sein, wie die europäischen Kund:innenerwartungen mit der asiatischer Effizienz in Einklang zu bringen sind.
Wenn Amazon-Bestellungen nach hinten losgehen