Ein Beschluss des Bundesgerichtshofs verunsichert Investoren bestimmter Photovoltaik-Projekte. Verbände fordern eine Klarstellung vom Gesetzgeber. Doch eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht.
Seit etwa einem Jahr ist Markus Hörr Stromlieferant – zumindest in kleinem Stil. Er produziert Strom mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach seines Mietshauses. Den Strom verkauft er an seine drei Mieter. Die PV-Anlage auf dem Dach macht ihn und vor allem seine Mieter unabhängiger vom Strommarkt. Zusätzlich können die Mieter sparen. „Ich bin so fünf bis sieben Cent pro Kilowatt-Stunde günstiger als der Markt“, sagt Hörr.
Das geht, weil die Mieter für den Strom vom Dach keine Netzentgelte zahlen. Normalerweise zahlen Endverbraucher solche Netzentgelte über ihre Stromrechnung. Und zwar immer dann, wenn die Verbraucher Strom von ihrem Energieversorger bekommen und der Strom über das Verteilernetz fließt – ganz egal, ob er aus Windkraft, Solarenergie oder anderen Kraftwerken stammt.
Bundesweit 5.400 Modelle – und größeres Potenzial
Nicht so beim Modell, das Markus Hörr in Bad Herrenalb im Nord-Schwarzwald anbietet. Das nennt sich Mieterstrom. Bislang haben Mieterstrom-Anlagen von einer Sonderregelung für Stromnetze profitiert. Sie galten nicht als Verteilernetz. Die Folge: weniger Bürokratie und keine Netzentgelte. So können Vermieter den Mieterstrom günstiger an ihre Mieter verkaufen.
Trotzdem ist das Mieterstrom-Modell bundesweit nicht sehr verbreitet. Laut Bundesnetzagentur gibt es rund 5.400 geförderte Mieterstrom-Modelle. Doch das Potential sei größer, legt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nahe. „Wir könnten drei Millionen Gebäude anschließen. Das wären zwanzig Millionen Wohnungen“, sagt Ralph Henger, Wirtschaftswissenschaftler beim IW. Das wäre für die Energiewende wichtig.
BGH hat Sonderregelung eingeschränkt
Investoren und Vermieter sind aber seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Mai verunsichert. Der BGH hat in einem Einzelfall zu Verteilernetzen und der Sonderregelung entschieden. Die Richterinnen und Richter haben ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt und dabei die Sonderregelung, von der der Mieterstrom bislang profitiert, eingeschränkt.
Damit hat der BGH für Unsicherheit gesorgt. „Wenn es um ein Mehrfamilienhaus geht, dürfte es weiter kein Verteilernetz sein. Aber wo jenseits dieser Konstellation die Grenze ist, ist unklar“, sagt Jurist Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht.
Ob ein Mieterstrommodell weiter unter die Sonderregelung fällt oder als Verteilernetz gilt, entscheiden die sogenannten Verteilernetzbetreiber im Einzelfall. Denn: Sie müssen die Photovoltaikanlagen auf den Mietshäusern anschließen. Nur: In Deutschland gibt es über 800 Verteilernetzbetreiber, und sie interpretieren die BGH-Entscheidung unterschiedlich.
„Der eine Netzbetreiber genehmigt es. Der andere Netzbetreiber sieht es anders. Da ist das Projekt dann so zusagen gestoppt“, sagt Julian Schulz, Geschäftsführer von metergrid. Er unterstützt Vermieter bei ihren Mieterstromprojekten. Das Wirrwarr bei den Netzbetreibern sorge zusätzlich für Unsicherheit bei potentiellen Mieterstrom-Anbietern, also bei Vermietern, so Schulz.
Solaranlage auf Mietshaus kann unattraktiv werden
Denn eine Photovoltaikanlage auf einem Mehrfamilienhaus, die nicht von der alten Sonderregelung profitiert und nun als Stromnetz gilt, ist unattraktiv. „All die Geschäftsmodelle, die auf den Vorteil gesetzt haben, haben jetzt ein Problem. Sie haben den gleichen Aufwand wie ein Netzbetreiber und gleichzeitig ist der Kostenvorteil weg“, sagt Thorsten Müller. Die Folge dieser Rechtsunsicherheit: Viele Vermieter, die sich unsicher sind, ob sie von dem Vorteil profitieren oder nicht, lassen es lieber sein mit dem Bau von Photovoltaikanlagen.
Daneben sind von der BGH-Entscheidung noch andere Stromprojekte von großen Industrieunternehmen betroffen. Durch die BGH-Entscheidung drohten „massive wirtschaftliche Verwerfungen“, heißt es in einem sogenannten Verbändeappell, an dem sich fast 30 Wirtschaftsverbände beteiligt haben.
In dem Schreiben, das unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mitverfasst haben, fordern sie dringend eine Lösung. Darunter verstehen sie eine Gesetzesreform. Der Bundesrat hat die Bundesregierung Ende September ebenfalls aufgefordert, zeitnah für Rechtssicherheit zu sorgen und „die europarechtlichen Spielräume schnellstmöglich zu nutzen“.
Wenig Spielraum für schnelle Lösung
Doch das könnte schwierig werden, meint der Energierechtler Thorsten Müller aus Würzburg. „Wenn man Rechtssicherheit schaffen will, muss man die Sonderregelung so klein wie möglich machen. Das wäre aber nicht im Interesse der Betreiber“, sagt Müller.
Die Bundesregierung hat gerade erst eine Reform des Energiewirtschaftsgesetzes in den Bundestag eingebracht. Heute Vormittag hat dazu eine Anhörung von Sachverständigen im Wirtschaftsausschuss stattgefunden. In dem Gesetzesentwurf spielt die Sonderregelung für Mieterstrom keine Rolle. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium von Katherina Reiche (CDU) unterstreicht auf Anfrage der ARD-Rechtsredaktion zwar die Bedeutung von Mieterstrom.
Doch: „Angesichts der praktischen Bedeutung bedarf es einer gründlichen Erörterung der Ausgangslage und eventueller Handlungsmöglichkeiten“, so das Ministerium. Man setze sich für eine Lösung ein. Aber die sei wohl auf europäischer Ebene zu suchen. Bis es zu einer Reform und damit zu Rechtssicherheit beim Mieterstrom kommt, dürfte es also noch dauern.
Netzengelte werden für andere teurer
Eine Reform scheint langfristig aus einem weiteren Grund sinnvoll. Denn bei allen Vorteilen des Mieterstroms, verweisen Experten auf einen Nachteil: Mieter, die angeschlossen sind, sparen zwar Netzentgelte und bekommen den Strom günstiger. Die Kosten für die Stromnetze bleiben aber gleich. Wenn die Zahl derjenigen sinkt, die das über die Stromrechnung mitfinanzieren, steigt der Anteil für die anderen.
Heißt: Je mehr Mieterstromprojekte entstehen, desto höher wird die Stromrechnung für diejenigen ohne Mieterstrom. „Wir brauchen eine Klärung, wer letztendlich die Netzentgelte zu zahlen hat“, fordert Ralph Henger vom IW. Dafür bräuchte es eine Reform der Stromnetz-Finanzierung in Deutschland insgesamt.
Für die Mieter, die schon Mieterstrom bekommen, ist das erstmal egal. Bislang scheinen schon bestehende Anlagen von dem BGH-Beschluss und der Rechtsunsicherheit in der Praxis nicht betroffen zu sein. Sie profitieren also weiter vom günstigeren Mieterstrom.

