Mit seinem Urteil vom 12. Mai 2022 (Az. III ZR 78/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine wegweisende Entscheidung getroffen, die die Rechte von medizinischen Behandlern bei kurzfristigen Terminabsagen durch Patienten erheblich stärkt.
Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Behandler Anspruch auf ein Ausfallhonorar hat, wenn ein Patient einen vereinbarten Behandlungstermin kurzfristig absagt oder nicht wahrnimmt.
Hintergrund des Falls
Im zugrunde liegenden Fall betrieb die Klägerin eine Praxis für Ergotherapie und Neurofeedback in Nordrhein-Westfalen. Die Beklagte, Mutter von zwei minderjährigen Kindern, hatte ihre Kinder zur Behandlung in der Praxis angemeldet. Bei der Anmeldung unterzeichnete sie ein Formular, das eine Klausel enthielt, wonach vereinbarte Termine mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden müssen, andernfalls werde ein Ausfallhonorar fällig. Die Beklagte sagte zwei Termine kurzfristig ab, woraufhin die Klägerin ein Ausfallhonorar geltend machte.
Kernaussagen des Urteils
Der BGH stellte fest, dass ein Behandler grundsätzlich Anspruch auf Vergütung hat, wenn ein Patient einen vereinbarten Behandlungstermin nicht wahrnimmt und der Behandler dadurch einen Einnahmeausfall erleidet. Dies ergibt sich aus § 615 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 630b BGB, wonach der Behandler seine Vergütung auch dann verlangen kann, wenn der Patient die Behandlung nicht in Anspruch nimmt, sofern der Behandler zur Leistung bereit und in der Lage war.
Allerdings betonte der BGH, dass ein solcher Anspruch nur besteht, wenn der Patient zuvor deutlich darauf hingewiesen wurde, dass der Behandlungstermin eine verbindliche Vereinbarung darstellt und bei Nichterscheinen ein Ausfallhonorar fällig wird. Zudem muss dem Patienten die Möglichkeit eingeräumt werden, nachzuweisen, dass dem Behandler kein oder ein geringerer Schaden entstanden ist.
Bereits 2020 hatte der BGH (Urt. v. 08.10.2020 – III ZR 80/20) betont, dass ein angemessener Interessenausgleich zwischen Praxis und Patient erforderlich ist. Wird eine Ausfallpauschale formularmäßig vereinbart, unterliegt sie als Allgemeine Geschäftsbedingung der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Unwirksam sind insbesondere Klauseln, die den Patienten unabhängig von eigenem Verschulden zur Zahlung verpflichten oder sein Kündigungsrecht aus §§ 626, 627 BGB unangemessen einschränken.
Praktische Auswirkungen
Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung von Behandlungsverträgen und die Handhabung von Terminabsagen:
- Für Behandler: Es ist ratsam, Patienten bei der Terminvereinbarung schriftlich auf die Verbindlichkeit der Termine und die Folgen einer kurzfristigen Absage hinzuweisen. Eine klare und transparente Kommunikation kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und rechtliche Ansprüche durchzusetzen.
- Für Patienten: Patienten sollten sich bewusst sein, dass vereinbarte Behandlungstermine verbindlich sind und bei kurzfristiger Absage ein Ausfallhonorar fällig werden kann. Es empfiehlt sich, Termine rechtzeitig abzusagen, um zusätzliche Kosten zu vermeiden.
Fazit
Das Urteil des BGH stärkt die Position von Behandlern bei kurzfristigen Terminabsagen und betont die Bedeutung klarer Vereinbarungen zwischen Behandler und Patient. Eine transparente Kommunikation und rechtssichere Vertragsgestaltung sind entscheidend, um rechtliche Konflikte zu vermeiden und die Interessen beider Parteien zu wahren.