Lange Zeit herrschte in der Praxis Unklarheit darüber, wann ein Bargeschäft nach § 142 InsO trotz Gläubigerbenachteiligung anfechtungsfest bleibt oder wegen „unlauteren Handelns“ der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) unterliegt. Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.12.2024 (IX ZR 122/23) liefert der BGH nun praxisgerechte Leitplanken. Vertragspartner insolventer Unternehmen und Insolvenzverwalter erhalten damit wertvolle Orientierung, um Risiken gezielt einzuschätzen – lesen Sie weiter und erfahren Sie, welche Verhaltensweisen künftig als unlauter gelten und welche nicht.
Hintergrund und Reform des Bargeschäftsprivilegs
Mit der Reform der Insolvenzanfechtung wurde das Bargeschäftsprivileg aus § 142 InsO gestärkt: Zahlungen im Rahmen eines Bargeschäfts sind grundsätzlich anfechtungsfest, es sei denn, der Leistungsempfänger hat den unlauteren Vorsatz des Schuldners erkannt. Unklar war jedoch, was genau unter „unlauterem Handeln“ zu verstehen ist und welche zusätzlichen Handlungselemente neben der Gläubigerbenachteiligungsabsicht erforderlich sind.
Kernaussagen des BGH-Urteils – Definition der Unlauterkeit
Ein Schuldner handelt bei einem Bargeschäft unlauter, wenn es sich weniger um die Abwicklung eines Bargeschäfts handelt als vielmehr um ein die übrigen Gläubiger gezielt schädigendes Verhalten. Dies kommt in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO
- das Bargeschäft zu einer gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger führt oder
- dazu genutzt wird, den Empfänger gegenüber anderen Gläubigern gezielt zu bevorzugen
In seiner Entscheidung vom 05.12.2024 (IX ZR 122/23) liefert der Bundesgerichtshof praxisgerechte Beispiele dafür, wann ein Bargeschäft im Sinn des § 142 InsO der Insolvenzanfechtung unterliegen kann und wann nicht. Dabei geht er gezielt auf den bislang undefinierten Begriff der unlauteren Handlung ein.
Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung eines Insolvenzverwalters zurückgewiesen, dass allein der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz für unlauteres Verhalten ausreiche. Vielmehr bedarf es eines darüberhinausgehenden Verhaltens, das die gezielte Schädigung anderer Gläubiger zum Ziel hat. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Bargeschäft die Benachteiligung anderer Gläubiger beabsichtigt oder den Empfänger gezielt bevorzugt. Für Gläubiger bedeutet dies eine erhöhte Rechtssicherheit. Solange sie die Voraussetzungen eines Bargeschäfts erfüllen, sind sie von der Pflicht befreit, zu prüfen, ob der Geschäftspartner bei fortgeführtem Betrieb anhaltende Verluste erzielt.
Fallbeispiele für unlauteres Handeln
Der BGH führt exemplarisch an, dass unlauteres Verhalten in der Regel vorliegt, wenn:
- Nicht betriebsnotwendige Leistungen bezahlt werden (z. B. Luxusgüter, private Ausgaben), die keinen Gläubigernutzen haben.
- Betriebsnotwendiges Vermögen veräußert wird, um den Gegenwert den Gläubigern zu entziehen.
- Zahlungen erfolgen nicht zur Vertragserfüllung, sondern um einen bestimmten Gläubiger zu bevorzugen (etwa zur Abwehr eines drohenden Insolvenzantrags).
- Bargeschäfte im unmittelbaren Vorfeld eines geplanten Insolvenzantrags getätigt werden.
- Honorare für eine Sanierungsberatung gezahlt werden, obwohl der Sanierungsversuch von vornherein aussichtslos ist.
- Bargeschäfte mit nahestehenden Personen (§ 138 InsO) erfolgen und diese gezielt bevorzugt werden.
- Letzte Vermögenswerte gezielt an einzelne Gläubiger oder verbundene Unternehmen übertragen werden (z. B. durch verschleierte konzerninterne Verschiebungen).
Fallbeispiele gegen unlauteres Handeln
Ein unlauteres Handeln liegt hingegen nicht vor, wenn:
- Der Schuldner fortlaufend Verluste erwirtschaftet, aber weiterhin betriebsnotwendige Geschäfte tätigt.
- Der Schuldner weiß, dass sein Betrieb dauerhaft nicht überlebensfähig ist, aber dennoch betriebsnotwendige Leistungen einkauft oder bezahlt.
- Der Schuldner gegen §§ 15a oder 15b InsO verstößt (Insolvenzreife bzw. Insolvenzantragspflicht).
Praktische Bedeutung und Handlungsempfehlungen
Vertragspartner insolventer Unternehmen genießen durch die Entscheidung nun mehr Anfechtungsfestigkeit ihrer Forderungen, wenn das Bargeschäft tatsächlich der Erfüllung vertraglicher Pflichten dient und nicht darauf abzielt, andere Gläubiger gezielt zu schädigen oder einen Empfänger unzulässig zu bevorzugen.
Für Insolvenzverwalter wird künftig nicht nur der Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes erforderlich sein, sondern zusätzlich muss ein konkretes, unlauteres Handlungselement vorliegen. Die Beweisführung muss künftig stärker auf konkrete Fallumstände (z. B. Empfängerkreis, Zweck der Zahlung) abstellen, welche eine Schädigungs- oder Bevorzugungsabsicht des Schuldners belegen.
Fazit
Mit dem Urteil vom 05.12.2024 (IX ZR 122/23) hat der BGH das zuvor unbestimmte Merkmal der Unlauterkeit im Bargeschäftsprivileg erstmals klar definiert und durch praxisnahe Beispiele ausgestaltet. Die Entscheidung stärkt die Stellung insolvenzferner Vertragspartner und zwingt Insolvenzverwalter zu einer präziseren Anfechtungsstrategie. Damit trägt der BGH maßgeblich zur Rechtssicherheit im Anfechtungsrecht bei.
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