Arbeitsgericht Potsdam, Urteil vom 09.09.2020 – 3 Ca 293/20
Mit Urteil vom 9. September 2020 hat das Arbeitsgericht Potsdam einer Feststellungsklage eines schwerbehinderten Arbeitnehmers stattgegeben, der sich gegen die einseitige Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund des Bezugs einer befristeten Erwerbsminderungsrente zur Wehr setzte. Das Urteil stellt klar: Eine arbeitsvertragliche Klausel, die eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Rentenbezug vorsieht, ist zumindest im Fall befristeter Erwerbsminderungsrenten nicht ohne weiteres wirksam – insbesondere, wenn es an der Zustimmung des Integrationsamtes bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen fehlt.
Sachverhalt
Der Kläger war seit 1998 bei der Beklagten tätig und seit 2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Auf Basis eines Arbeitsvertrags aus dem Jahr 1999 war vereinbart:
„Das Arbeitsverhältnis endet ohne vorherige Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet bzw. mit Beginn des Monats, ab dem er Altersruhegeld oder eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erhält. Dies gilt auch, wenn die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nur befristet bezogen wird.“
Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 16.08.2018 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 28.02.2021 bewilligt. Die Beklagte teilte ihm daraufhin im Februar 2020 mit, dass das Arbeitsverhältnis infolge dieser Rentengewährung als beendet gelte. Eine Zustimmung des Integrationsamts wurde nicht eingeholt. Gegen diese rechtliche Bewertung wandte sich der Kläger mit seiner Klage auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses.
Rechtliche Würdigung
Keine wirksame Beendigung durch auflösende Bedingung
Fehlende Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168, § 175 SGB IX)
Bereits formal war die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam. Da der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt war, hätte die Beklagte vor Ausspruch bzw. Mitteilung der Beendigung gemäß § 175 SGB IX die Zustimmung des Integrationsamtes einholen müssen. Diese Zustimmung ist bei jeder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberinitiative erforderlich – auch dann, wenn die Beendigung aufgrund einer vertraglich vereinbarten auflösenden Bedingung (hier: Rentenbezug) erfolgt. Das Gericht betonte, dass diese Pflicht auch bei befristetem Rentenbezug gilt, da der Schutz des schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht unterlaufen werden darf. Die fehlende Zustimmung führte bereits aus diesem Grund zur Unwirksamkeit der Beendigung.
Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Klausel wegen Verstoßes gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
Unabhängig vom Verstoß gegen das SGB IX beanstandete das Gericht auch die arbeitsvertragliche Klausel selbst. Sie sah eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits bei befristetem Bezug einer Erwerbsminderungsrente vor. Eine solche auflösende Bedingung stellt eine Befristung dar und unterliegt der Kontrolle nach § 21 i.V.m. § 14 Abs. 1 TzBfG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist eine auflösende Bedingung nur dann wirksam, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.
Ein solcher sachlicher Grund lag hier nicht vor:
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Keine dauerhafte Leistungsunfähigkeit: Die befristete Rentenbewilligung impliziert gerade nicht die Unwahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Besserung (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Das Gericht wies darauf hin, dass mit der Befristung der Rente die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt ist – die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bleibt möglich.
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Keine wirtschaftliche Absicherung: Der befristete Rentenbezug bedeutet, dass der Arbeitnehmer nicht dauerhaft wirtschaftlich abgesichert ist – im Gegensatz zur unbefristeten Alters- oder Erwerbsminderungsrente, bei der ein Beendigungsinteresse des Arbeitgebers regelmäßig als gerechtfertigt angesehen wird.
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Kein Kündigungsersatz zulässig: Die Klausel läuft auf eine Umgehung des Kündigungsschutzes hinaus. Gerade bei befristeter Erwerbsminderung ist die Unsicherheit über den Gesundheitszustand Teil des normalen Lebensrisikos und darf nicht zum automatischen Verlust des Arbeitsplatzes führen.
Damit war die vertraglich vereinbarte auflösende Bedingung nichtig, § 134 BGB i.V.m. § 14 TzBfG.
Folge: Arbeitsverhältnis besteht fort
Mangels wirksamer Beendigungstatbestände – weder Kündigung noch wirksame Bedingung – besteht das Arbeitsverhältnis fort. Der Kläger obsiegte mit seiner Klage vollumfänglich.
Einordnung und praktische Relevanz
Das Urteil reiht sich ein in eine inzwischen gefestigte Linie der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von Klauseln, die den Bezug einer lediglich befristeten Rente wegen Erwerbsminderung als Grund für die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen. Besonders hervorzuheben ist:
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Stärkung des Schwerbehindertenschutzes: Das Urteil betont die Schutzpflichten des Arbeitgebers gegenüber schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmern und stellt klar, dass auch scheinbar „automatische“ Beendigungen – wie durch auflösende Bedingungen – eine Zustimmung des Integrationsamtes erfordern.
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Verhinderung von Kündigungsumgehungen: Die Entscheidung verhindert, dass Arbeitgeber durch vorformulierte Klauseln in Arbeitsverträgen den gesetzlichen Kündigungsschutz unterlaufen, insbesondere wenn unklar ist, ob und wie lange ein Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig bleiben wird.
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Vertragsgestaltung mit Augenmaß: Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass arbeitsvertragliche Klauseln zur Beendigung bei Renteneintritt genau formuliert und sorgfältig differenziert sein müssen. Während unbefristete Altersrenten regelmäßig einen legitimen Beendigungsgrund darstellen, ist dies bei befristeten Renten gerade nicht der Fall.
Das Arbeitsgericht Potsdam stellt mit seinem Urteil vom 09.09.2020 erneut klar: Der Bezug einer befristeten Erwerbsminderungsrente rechtfertigt nicht ohne weiteres die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Arbeitgeber sollten ihre Vertragsgestaltung an der gefestigten Rechtsprechung des BAG ausrichten und vor jeder Beendigung bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen zwingend die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Andernfalls droht nicht nur die Unwirksamkeit der Beendigung, sondern auch eine kostspielige gerichtliche Auseinandersetzung.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321