Überzogene Bauvorschriften, Bürokratie und fehlende Aufträge belasten die Branche schwer. Der Bauindustrie-Verbandspräsident warnt: Die Milliarden aus dem Infrastruktur-Schuldenpaket seien Zukunftsmusik – ohne schnellere Verfahren und Regulierungsabbau bleibe der Aufschwung aus.
Die Idee vom maximal effizienten Wohnhaus mit dicker Dämmung und vielen technischen Extras ist für Peter Hübner inzwischen ein rotes Tuch. „Der Effizienzhausstandard 40 ist Geldverschwendung, einfach Unsinn“, sagte der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB) am Dienstag bei der Präsentation aktueller Geschäftszahlen der Branche.
„Es macht einfach keinen Sinn, ein Haus vierfach in Geschenkpapier einzuwickeln.“ Der jetzt geltende Effizienzhausstandard 55 sei ausreichend, und jeder weitere Euro sollte für die möglichst CO₂-freie Energieerzeugung für die Gebäude eingesetzt werden.
Übertriebene technische Anforderungen wie beim Effizienzhaus, Bürokratie und Unsicherheiten bei der Dekarbonisierung sind zurzeit die größten Hemmschuhe für die deutsche Bauindustrie, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Auftrag des Verbands zeigt. Daran könne auch das 500-Milliarden-Euro-Schuldenpaket, das die schwarz-rote Regierungskoalition angekündigt hat, vorläufig wenig ändern.
„Noch existieren die Milliarden gar nicht“
Die Branche rechnet erst im nächsten Jahr mit positiven Effekten des Milliardenpakets auf den Umsatz. „Es handelt sich zunächst nur um einen Beschluss, noch existieren die Milliarden gar nicht“, gab Hübner zu bedenken.
Immerhin: Sollte das geplante sogenannte „Sondervermögen“ so platziert werden wie es sich die Baubranche erhofft, könnte es zusätzliche Bauaufträge der öffentlichen Hand mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro pro Jahr auslösen. Das geht aus einer Rechnung des Bundesverbands Baustoffe hervor, die WELT vorliegt.
Bis es so weit ist, haben viele Unternehmen allerdings noch mit geringer Auslastung und rückläufigem Geschäft zu kämpfen. In diesem Jahr wird der Branchenumsatz laut HDB preisbereinigt um ein Prozent sinken. Anfang des Jahres hatte der Verband noch ein Minus von 1,5 Prozent prognostiziert.
„Unsere Unternehmen werden 6000 Arbeitsplätze abbauen“, so Hübner. Einer Umfrage des Verbands zufolge klagen 27 Prozent der Unternehmen über zu wenig Aufträge. „Im Wohnungsbau werden die Zahlen jedes Jahr katastrophaler“, so Hübner. Erwartet wird hier ein Umsatzrückgang von vier Prozent, nach sieben Prozent im Vorjahr. Wenigstens das Volumen an Baukrediten nehme wieder zu, die Talsohle könne durchschritten sein.
Grundsätzlich bleibt der HDB aber skeptisch und hofft auf mehr als nur Geld vom Staat, nämlich auf Geschwindigkeit und weniger Regulierung. „Bis die Konjunkturprogramme am Markt ankommen und ihre positive Wirkung entfalten können, dürften noch einige Monate vergehen“, teilte der Verband mit.
Zwischen der Ausgabenphantasie in der Zukunft und der Realität am Bau klafft mindestens noch in diesem Jahr eine gewaltige Lücke. „Kommunen machen 60 Prozent des öffentlichen Bauvolumens aus“, so Hübner, „doch deren Haushalte sind seit Jahren mit steigenden Belastungen bei sozialen Leistungen konfrontiert, deshalb sparen sie zuerst bei den Investitionen“, sagt Hübner.
Selbst wenn die 500 Milliarden Euro auf den Weg gebracht sein sollten, müssten die Bauverwaltungen mit dem frischen Geld überhaupt erst neue Aufträge erteilen. Hübner zufolge gibt es Zweifel, was deren zusätzliche Belastbarkeit angeht: „Der Flaschenhals bei der Umsetzung des Sondervermögens werden nicht die Unternehmen sein, sondern die Bauverwaltungen.“
„Auf Seiten der Verwaltung benötigen wir bessere Prozesse, eine Flexibilisierung im Vergaberecht, beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren und ein Umweltrecht, das Maß und Mitte erkennt“, fordert der Verband. Planung und Bau müsste Hand in Hand gehen, „damit die Unternehmen der Bauwirtschaft bereits im Planungsprozess mit am Tisch sitzen und ihre Expertise frühzeitig einbringen können“.
Hübner nannte ein jedem Autofahrer bekanntes Beispiel: „Bei Straßenbaustellen wird schon Monate vor Baubeginn die Verkehrssicherung aufgestellt, obwohl der Bauunternehmer noch gar nicht beauftragt ist“. Formal gebe es also eine Baustelle, „auf der aber niemand arbeitet“.
Das läuft im Ausland besser, wie eine Untersuchung des IW Köln im Auftrag des HDB zeigt. Die Bau-Produktivität hat demnach auch in Ländern wie Schweden und Frankreich nachgelassen. Doch nirgends ging sie so deutlich zurück wie in Deutschland und vor allem Österreich.
Der Grund: übertrieben hohe Baustandards und Bürokratie, schreiben die Studienautoren Michael Voigtländer und Steffen Wetzstein und stellen in Bezug auf den Wohnungsbau fest: „In Deutschland und Österreich leitet sich aus den DIN-Normen der Stand der Technik ab, auf den Erwerber grundsätzlich ein Anrecht haben.“ Hierdurch ergäben sich für Bauunternehmen sehr konkrete Vorgaben, wie gebaut werden muss.
In den meisten anderen betrachteten Ländern „werden dagegen für den Bau Mindeststandards oder Zielwerte festgelegt, wie diese allerdings erreicht werden, ist den Unternehmen selbst überlassen.“ So müsse ein Gebäude etwa einen bestimmten Energiebedarf, einen Schallschutzwert und einen maximalen Vibrationswert erreichen.
Es gelten also Ziele und keine kleinteiligen Einzelvorschriften. „Dieser Unterschied zwischen einer zielorientierten Regulierung und einer standardorientierten Regulierung dürfte einen sehr großen Einfluss auf die Entwicklung der Produktivität haben“, so das IW.
Beim Thema Bürokratie nannten die vom IW befragten Experten nicht nur eine überbordende Menge an Nachweisen, die erbracht werden müssen, sondern auch die Stadtpolitik vor Ort: „Die Möglichkeit, selbst nach langfristigen Planungen Anforderungen zu ändern oder Bebauungen ganz zu untersagen, werden in fast allen Ländern als große Problembereiche identifiziert.“ Und wie in fast allen Branchen „hängt Deutschland in der Digitalisierung zurück“.
Der HDB fordert deshalb eine neue wirksame Planungsbeschleunigung, weniger Bürokratie beim Wohnungsbau und eine Verschiebung der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie in nationales Recht, die schnelle Umsetzung der bereits vorbereiteten Novelle des Baugesetzbuchs, einfaches Bauen und überhaupt weniger Bürokratie.
Der Geldsegen aus dem Sondertopf könnte einige der Probleme zwar nicht beseitigen, aber wenigstens abmildern. Aus dem neuen Geldtopf sollen 100 Milliarden Euro für Investitionen in Ländern und Kommunen fließen, weitere 100 Milliarden sind für den Klimaschutz vorgesehen, 300 Milliarden Euro für weitere Infrastrukturinvestitionen des Bundes.
Der Bundesverband Baustoffe hat hochgerechnet, welche Auftragsvolumina auf die Industrie zukommen könnten. Dabei ging der BBS von 400 Milliarden Euro Investitionen in Bund und Kommunen aus, ohne Klimaschutz-Mittel aus dem Klima-Transformationsfonds.
Gut 70 Prozent dieser 400 Milliarden Euro seien „baurelevant“. Verteilt auf zwölf Jahre und unter Einbeziehung der Baupreisentwicklung ergeben sich zusätzlich rund 20 Milliarden Euro pro Jahr, 14 Milliarden für den Tiefbau, sechs Milliarden für den Hochbau.
So wie HDB-Chef Hübner sagt auch Christian Engelke, BBS-Ökonom: „Klar ist, dass die Investitionsimpulse erst sukzessive wirksam werden können und wegen der Vorlaufzeiten auch frühestens im kommenden Jahr spürbar sein werden.“ Außerdem müssten die Rahmenbedingungen so angepasst werden, „damit das Geld auch schnell abfließen kann“.
Noch allerdings gibt es nicht einmal einen sicheren Bundeshaushalt für dieses Jahr, und die neue Regierung arbeitet mit vorläufiger Haushaltsführung, betont Hübner. „Dadurch kommen gerade im Bundesfernstraßenbereich seit neun Monaten keine neuen Projekte an den Markt.“
Michael Fabricius beschäftigt sich mit Immobilienthemen und schreibt für WELT über alles, was Eigentümer, Mieter und Investoren betrifft. Gemeinsam mit Michael Höfling ist er für den Immobilien-Newsletter „Frage der Lage“ verantwortlich. Sie können ihn hier abonnieren.