Die Fülle der Baunormen gilt als großes Problem für den Wohnungsbau. Bayern will Bürokratie abbauen und auch Brandschutz-Vorschriften überprüfen. Aber ist das nötig – oder vielleicht am Ende sogar gefährlich?
Sechs Meter hohe Backsteinwände, Gewölbedecken, riesige Türen, die den Raum mit Licht durchfluten: Ein denkmalgeschütztes Gebäude wie dieses auf dem Bürgerbräu-Gelände in Würzburg ist für Brandschutz-Planer eine Herausforderung. Sie wollen den Charme des Gebäudes bewahren und gleichzeitig ein risikoarmes Brandschutzkonzept erstellen. Denn hier soll später mal ein Büro entstehen.
Wenn Architekt und Brandschutz-Experte Thorsten Götz hier nach Schema F vorgegangen wäre, hätte das Gebäude zwei Etagen, Brandschutztüren, und an den Wänden wäre etwa ein Brandschutz-Anstrich – „aber dann wäre dieser schöne, große Raum hier nicht so entstanden“. Glücklicherweise, sagt Götz, ist in der Bayerischen Bauordnung vorgesehen, vom Schema F abzuweichen. Etwa zugunsten des Bestands.
Bauordnung lässt Spielräume offen
Allein in diesem künftigen Büro hat er in seinem Brandschutz-Konzept 20 Abweichungen festgelegt. „Gesunder Menschenverstand und pragmatische Lösungen“ seien gefragt. Beispielsweise hat Thorsten Götz entschieden, dass die Holztreppe kein brandschutztechnisches Problem darstellt, weil die Feuerwehr im Fall der Fälle trotz abbrennender Treppe von überall her Zugang hätte, retten und löschen könnte. Diese Ausnahme von der Regel ist trotz Brandschutzkonzept möglich.
Zugrunde liegt die Bayerische Bauordnung, die solche Spielräume offenlässt – und damit die Verantwortung bei den Planern und Gutachtern liege. „Diese Verantwortung wird im Brandschutz im Vier-Augen-Prinzip vollzogen“, so Götz. „Das ist ein gutes Konstrukt. Wenn man das Prinzip wegnimmt, wird die Gefährdung für den Nutzer höher.“
Andere Bundesländer haben kompliziertere Regeln
Und nicht nur das, sagt der Architekt und Brandschutz-Experte Ralf Abraham in Hannover. Er hat die Reihe „Brandschutz im Dialog“ ins Leben gerufen und ist Vize-Präsident des Deutschen Instituts für vorbeugenden Brandschutz (DIvB). Abraham sagt: „Bayern ist hier deutschlandweit unser großes Vorbild.“
Hier gilt das Vier-Augen-Prinzip, bei dem Konzept-Ersteller und unabhängige Brandschutz-Prüfingenieure die Brandschutz-Konzepte fertigstellen. So gehe der Antragsprozess viel schneller als wenn die Brandschutz-Pläne wie in Niedersachsen und vielen anderen Bundesländern über die jeweiligen Bauämter und Aufsichtsbehörden laufen müsse. „Allein dadurch entstehen 20 bis 25 Prozent Mehrkosten“, so Abraham.
„Wir können nicht alle Unglücke verhindern“
Anders als Thorsten Götz in Würzburg befürwortete Ralf Abraham aus Hannover einen Bürokratieabbau, wie Bayern ihn plant. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat angekündigt, die Brandschutz-Vorgaben zu verschlanken – wobei er offen ließ, wo genau das geschehen soll: „Wir werden die Anforderungen beim Brandschutz so senken, dass wir auf einen Mindeststandard kommen, was feuerpolizeilich notwendig ist, aber alles, was extra und über war, wird abgebaut.“ In der Bayerischen Bauordnung regelt Artikel 12 den Brandschutz: Brandausbreitung, Rettung von Mensch und Tier sowie Löscharbeiten müssen gewährleistet werden, heißt es darin. Ein Mindeststandard.
Nachgefragt beim Beauftragten für Bürokratieabbau der Staatsregierung, Walter Nussel: „Bei Gebäuden wie Kindergärten, Krankenhäuser, Seniorenheimen soll an den Brandschutz-Vorschriften nichts gestrichen werden.“ Bei Parkhäusern etwa oder in Büros, wo das Risiko eines Brands statistisch gesehen verschwindend gering sei, könnten Regelungen verschlankt werden, sagt Nussel. „Wir müssen weg von der Einzelfallgerechtigkeit. Wir können nicht alle Unglücke verhindern, wenn wir auch noch so viele Regeln aufstellen. Wir müssen ein gutes Mittelmaß finden.“
Details regeln jeweils die Landesbauordnungen
Dass weniger Bürokratie oft wirtschaftlicher ist und dennoch sicher beziehungsweise risikoarm, will Architekt und Brandschutz-Experte Ralf Abraham zeigen. „Immer weiter gehende Anforderungen im Brandschutz führen zu steigenden Aufwendungen, oft jedoch ohne erkennbaren Gewinn“, erklärt er. Mehr Bürokratie führe nicht zu mehr Sicherheit – sondern treibe Baukosten in die Höhe und koste Zeit.
Verhältnismäßige Brandschutz-Maßnahmen ergeben sich aus der jeweiligen Landesbauordnung. Die Höhe der Mehrkosten durch mehr Vorschriften ist schwer zu beziffern: Das kann reichen vom Brandschutzanstrich einer Treppe für mehrere hundert Euro bis zur Errichtung weiterer Geschosse inklusive Brandschutztüren für mehrere zehntausend Euro. In Würzburg etwa wurden diese Kosten eingespart – unter Berücksichtigung eines gültigen Brandschutz-Konzepts.
Bürokratiemonster Förderalismus?
Wo müsste also stattdessen nachgebessert werden? Die Architekten und Brandschutz-Planer vor Ort sagen: Zum einen sollte es eine bundesweit einheitliche Bauordnung geben. Denn Thorsten Götz etwa wird als Sachverständiger immer wieder auch in Hessen oder Baden-Württemberg angefragt – und muss sich dann in die jeweilige Landesbauordnung mit ihren zum Teil sehr unterschiedlichen Anforderungen einarbeiten.
Zum anderen erleben die Experten, dass es den Beteiligten an Know-how mangele. „Da herrscht eine große Unsicherheit, von den Planern über Gutachter bis zur Rechtsprechung“, sagt Architekt Roland Breunig, dem das denkmalgeschützte Gebäude für das künftige Büro in Würzburg gehört. „Da machen manche vielleicht lieber Gürtel und Hosenträger, um auf Nummer sicher zu gehen. Stattdessen wäre Pragmatismus angesagt.“
Thorsten Götz und Roland Breunig fordern deshalb, die Brandschutz-Vorschriften beizubehalten – und stattdessen bei der Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren nachzubessern.
