Kiel. Frost, Hitze, Regen, mechanischer Stress: Nicht nur Straßen und Brücken verschleißen unter dem Einfluss von Wind, Wetter und Dauernutzung. Auch Stromautobahnen halten nicht ewig. Für eine der wichtigsten Netzverbindungen Schleswig-Holsteins, die Höchstspannungsleitung Audorf-Kiel, hat jetzt die Generalsanierung begonnen. Rund 60 Jahre haben die 25 Millimeter dicken Stromseile auf dem Buckel. An ihnen hängt die Stromversorgung der Landeshauptstadt.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Dies ist ein sehr komplexes Projekt“, sagt Klaus Deitermann, als Programmdirektor verantwortlich für den Infrastrukturausbau beim Netzbetreiber Tennet. Der Energiemanager zeigt sich „sehr froh“, dass die Rädchen bei allen Beteiligten reibungslos ineinander liefen – von Tennet über SH Netz und Stadtwerke Kiel bis zum Energiewendeministerium in Kiel. Auch Projektleiter Michel Schneeberg betont: „Wir sind uns bewusst, dass dies ein sensibles Unterfangen ist.“ Entsprechend groß schreibe man das Thema Sicherheit.
Sanierung der Stromautobahn Audorf-Kiel: Sicherheitspuffer fällt weg
Wie saniert man diese Stromautobahn, ohne die Versorgung der Landeshauptstadt zu gefährden? Im Prinzip so, wie man auch eine normale Autobahn auf Vordermann bringt, ohne den Verkehr zum Erliegen zu bringen: Erst die eine Fahrspur in Angriff nehmen, dann die andere.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Möglich ist das, weil das deutsche Energiesystem nach dem Prinzip „n minus 1″ geplant ist: Wenn ein Teilsystem beispielsweise fünf („n“) Leitungen braucht, um zu funktionieren, dann funktioniert es selbst dann einwandfrei, wenn eine davon ausfällt („minus 1″). Das bedeutet aber auch, dass dieser Puffer für den Zeitraum der Sanierung – bis Ende des Jahres – nicht immer zur Verfügung steht.
Genau deshalb nennt Schneeberg das Vorhaben „sensibel“. Denn sollten beide Leitersysteme ausfallen, hätte die Kieler Stromversorgung ein Problem – im schlimmsten Fall bis hin zur kurzzeitigen Abschaltung ganzer Stadtteile. Deutlich wird am Donnerstag beim offiziellen Start der Sanierung im Umspannwerk Audorf: Organisatorisch, technisch und personell wurde alles unternommen, dass es dazu nicht kommt.
Gefahr eines Stromausfalls für Kiel bleibt minimal
„Wir haben sämtliche Szenarien durchgespielt, und sind in jeder Hinsicht sehr gut vorbereitet“, sagt der Projektleiter. So sei mit bis zu 100 Spezialisten deutlich mehr Personal vor Ort als bei normalen Sanierungen üblich. Dadurch könne man bei unvorhergesehenen Ereignissen sehr schnell reagieren. „Die Zuschaltbereitschaft liegt bei maximal sechs Stunden“, sagt Schneeberg. Innerhalb dieser Zeit kann das Leitersystem, an dem gerade gearbeitet wird, wieder in Betrieb gehen, sollte das andere ausfallen.
Das bedeutet aber nicht, dass dann in Kiel sechs Stunden der Strom knapp wird. Zum einen, weil diese sechs Stunden in der Praxis bei Weitem nicht ausgeschöpft werden. Zum anderen, weil Strom im Ernstfall auch über das 110-Kilovolt-Netz in die Stadt kommt.
Der Tausch der Leiterseile erfordert nicht nur fachkundige, sondern auch schwindelfreies Personal. Ersetzt werden die Seile jeweils zwischen zwei bis zu 50 Meter hohen „Abspannmasten“, die bis zu sechs Kilometer auseinander liegen. Hierfür wird das alte Leiterseil „ausgeklemmt“ und anschließend mit dem neuen Seil verbunden. Danach werden die verbundenen Leiterseile mithilfe einer Seilzugmaschine in Position gezogen.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Generalsanierung“ bedeutet aber nicht nur, dass auf einer Länge von rund 35 Kilometern und über mehr als 100 Masten die Leiterseile ausgetauscht werden. Auch Hunderte von Isolatoren, bislang aus Glas oder Keramik, werden durch moderne Verbundisolatoren ersetzt.
Fragt sich: Warum modernisiert Tennet eine Leitung, die doch ohnehin über weite Strecken durch den Neubau der 380-Kilovolt-Leitung „Audorf-Göhl“ ersetzt wird? Die Antwort ergibt sich aus dem Zeitbedarf. Die neue Verbindung nach Ostholstein, die die Versorgungssicherheit Kiels über den Ringschluss mit der Ostküstenleitung wesentlich verbessert, kann erst 2037 in Betrieb gehen. Doch so lange ließe sich die 220-Kilovolt-Stromautobahn von Audorf nach Kiel nicht betreiben.
KN