Der Rückzug von ArcelorMittal aus der geplanten klimafreundlichen Stahlproduktion in Deutschland ist nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm ein Warnsignal für die Industriepolitik der Bundesregierung. „Die Transformation zu grünem Stahl war von vornherein eine riesige Herausforderung“, sagte Grimm. Die hohen Anforderungen an den Transformationspfad, kombiniert mit hohen Strompreisen, hätten die Projekte von Beginn an mit erheblichen Risiken behaftet. „Es war abzusehen, dass diese Verhandlungen scheitern würden“, sagte Grimm.
Die Professorin für Energiesysteme an der Technischen Universität Nürnberg gehört dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Medienberichten zufolge will die für Energiepolitik zuständige Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) Grimm zudem in einen eigenen Beraterkreis aus Ökonomen berufen.
Grimm kritisierte die bisherige Herangehensweise der früheren Bundesregierung. Diese habe auf staatliche Subventionen in Milliardenhöhe statt auf strukturelle Reformen gesetzt. Ein Problem seien die sogenannten Klimaschutzverträge, mit denen Unternehmen bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktionsverfahren unterstützt werden sollen. „Gerade bei den Klimaschutzverträgen herrscht die Vorstellung vor, dass man die Transformation staatlich steuern könnte und durch die Ausschreibungen auch noch besonders günstig. Das entpuppt sich als Illusion“, sagte Grimm. Die Verfahren seien zu komplex, zu langwierig und führten am Ende häufig nicht zum Erfolg.
Als Alternative forderte Grimm mehr Pragmatismus: „In der Transformationsphase sollte man etwa auf Gas und blauen Wasserstoff setzen.“ Statt einer komplexen Förderlandschaft müsse der Emissionshandel gestärkt werden.
ArcelorMittal sei kein Einzelfall, sagt Grimm. Die Versprechen hoher staatlicher Subventionen führten nicht automatisch zum Erfolg: „Die Politik sollte sich daher dringend darauf konzentrieren, die strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern, anstatt mit Subventionen zu versuchen, die Transformation anzuschieben.“
Grünen-Abgeordneter Kellner gab jetziger Regierung die Schuld
Nach der Abkehr des Stahlkonzerns ArcelorMittal von einer klimafreundlicheren Produktion in Eisenhüttenstadt und Bremen fordern die Grünen ein Signal der Bundesregierung. „Unternehmen sind verunsichert und investieren nicht, weil von der Bundesregierung kein klares Bekenntnis zum Wasserstoff kommt“, sagte der brandenburgische Abgeordnete Michael Kellner. Der von der Regierung versprochene Industriestrompreis müsse nun kommen.
Zudem schlug Kellner vor, dass der Staat „grünen“ Stahl selbst abnimmt: „Das Land investiert Milliarden in Infrastruktur. Wichtig ist dabei, dass beim Bau der Brücken, beim Bau der Schienen grüner Stahl zum Einsatz kommt, um das Klima zu schützen und Jobs zu sichern.“ Zugleich forderte der frühere Staatssekretär von ArcelorMittal eine Beschäftigungsgarantie für die Standorte abzugeben und in klimafreundliche Produktion zu investieren. „Schließlich ist ArcelorMittal einer der größten Verschmutzer“, sagte Kellner.
Der Konzern hatte mitgeteilt, dass er die Umstellung auf „grüne“ Stahlproduktion in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht weiter verfolgt. Gemeint ist der Umstieg von Kohle als Energiequelle auf Wasserstoff, der künftig aus erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarstrom gewonnen wird. Wenn bei der Produktion kein klimaschädliches Kohlendioxid anfällt, wird der Wasserstoff und letztlich auch der Stahl als „grün“ bezeichnet.
ArcelorMittal sprach von fehlender Wirtschaftlichkeit. Der Konzern nimmt damit staatliche Fördergelder in Höhe von 1,3 Milliarden Euro nicht in Anspruch.
Zukunft der Werke unsicher
Nach dem Ausstieg des Stahlkonzerns aus der geplanten Stahlproduktion mit Wasserstoff steht die Zukunft der Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt nach Einschätzung des Energie-Experten Felix Matthes auf dem Spiel. „Die stehen jetzt zur Disposition“, sagte der Wissenschaftler vom Freiburger Öko-Institut der Nachrichtenagentur Reuters. Der Hochofenbetrieb sei Ende der 2020er-Jahre wirtschaftlich nicht mehr tragfähig. „Jetzt stellt sich die Frage, ob man wenigstens ein Elektrostahlwerk hinbauen kann und das Vormaterial importiert.“ Das sei „energie- und klimapolitisch alles überhaupt nicht schön, aber damit wäre zumindest der Standort gesichert“.
Für den geplanten Hochlauf der Wasserstoffnutzung in Deutschland sei der ArcelorMittal-Ausstieg ein Rückschlag. „Das war ein Ankerkunde für den norddeutschen Teil des Wasserstoff-Kernnetzes“, sagte Matthes.
Die Industriegewerkschaft Metall und der Betriebsrat des Bremer Stahlwerks von ArcelorMittal haben den Stahlkonzern scharf für den Stopp seiner Pläne kritisiert. „Die IG Metall Bremen und die IG Metall Betriebsräte werten diese Entwicklung als ernsthafte Bedrohung der Zukunft des Bremer Werkes“, erklärten sie.
Bundeswirtschaftsministerium: „Privatwirtschaftliche Entscheidung“
Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Entscheidung des Stahlkonzerns bedauert, in den beiden Werken nun doch nicht auf eine klimaneutrale Produktion umzustellen. „Es handelt sich dabei um eine privatwirtschaftliche Entscheidung des Unternehmens“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Wichtig sei, dass noch keine staatlichen Gelder geflossen seien.
Das Wirtschaftsministerium der Vorgängerregierung mit Robert Habeck (Grüne) an der Spitze und das Land Bremen hatten ArcelorMittal vor gut einem Jahr eine Gesamtförderung von knapp 1,3 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, davon sollten Bremen 250 Millionen Euro beisteuern, wie das Ministerium erläuterte.
ArcelorMittal Europe hatte am Donnerstag bekannt gegeben, von dem Klimaprojekt Abstand zu nehmen und dies mit der Marktsituation und fehlender Wirtschaftlichkeit begründet.