Der Dax feiert Rekorde. Fast so, als ob es den Zollstreit zwischen den USA und dem Rest der Welt nicht gäbe. Ist die Stimmung vielleicht zu gut?
Was ist dieses Jahr nur an der Börse los? Erst der gigantische Start für den Dax, dann der Absturz im April, gefolgt von einer rasanten Erholung. Der deutsche Leitindex hat seit Jahresbeginn nicht nur um 30 Prozent zugelegt, sondern auch eine Rekordmarke nach der anderen erreicht. Und das, obwohl US-Präsident Donald Trump die Welt mit horrenden Zöllen überzieht, die das Zeug dazu haben, die Weltwirtschaft mächtig auszubremsen.
Die Aktienkurse steigen, nach einem ziemlich schwachen Jahresstart, übrigens auch wieder an der Wall Street. Der breite amerikanische Aktienindex S&P 500 bringt es „nur“ auf ein Plus von gut elf Prozent, und die US-Technologiebörse Nasdaq 100 auf gut 14 Prozent. Was bei langfristigen durchschnittlichen Aktienrenditen zwischen sechs und acht Prozent pro Jahr allerdings immer noch viel ist. Aber in Europa läuft es gerade besser. Kursreaktionen nach unten fallen weniger heftig aus.

Jessica Schwarzer ist Finanzjournalistin, Bestsellerautorin und langjährige Beobachterin des weltweiten Börsengeschehens. Die deutsche Aktienkultur ist ihr eine Herzensangelegenheit. Mitte März 2024 ist ihr siebtes Buch „Erfolgreich investieren mit den besten Börsenstrategien“ im Börsenbuchverlag erschienen. Bei t-online schreibt sie über Investments und Finanztrends, die eine breit gestreute Basisgeldanlage ergänzen. Sie erreichen sie auf LinkedIn, Twitter, Facebook und Instagram.
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Blenden die Investoren alle Probleme aus? Ganz so einfach ist es nicht. An den Handelstagen nach dem 2. April, dem sogenannten „Liberation Day“, an dem Trump die Zölle erstmals konkretisierte, krachte es heftig. Der S&P 500 verlor in nur drei Tagen fast 15 Prozent an Wert, holte diese Verluste aber binnen weniger Wochen wieder auf. Denn es folgten Zollpausen, Verhandlungen, Gerichtsurteile, neue Ankündigungen – quasi eine Dauerschleife.
Anlegerinnen und Anleger scheinen sich an das ewige Hin und Her gewöhnt zu haben. Zumindest fallen die Kursreaktionen längst nicht mehr so heftig aus wie noch zu Beginn des Zollstreits zwischen den USA und dem Rest der Welt.
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Ist dieser Gewöhnungseffekt aber vielleicht gefährlich und sind Anleger zu sorglos? Ich habe auf jeden Fall ein mulmiges Gefühl angesichts der üppigen Kursgewinne in eher unruhigen Zeiten. Die Zollpausen werden zeitnah enden. Und dann? Kommen die hohen Zölle? Oder werden sie abgeschwächt oder sogar „wegverhandelt“? Und wie groß wird der Schaden für die Weltwirtschaft sein?
Es gibt jede Menge Risiken, keine Frage. Als Anlegerin lasse ich mich aber nicht verrückt machen. Ich investiere global breit gestreut, wenn auch mit hohem US-Anteil. Ich investiere sehr, sehr langfristig. Die alte Börsenweisheit „Politische Börsen haben kurze Beine“ mag man angesichts der Handelspolitik des US-Präsidenten anzweifeln.
Aber ich halte es mit einer anderen Börsenweisheit: „Der Wall Street ist es egal, wer (!) unter ihr regiert.“ Soll heißen, dass keine Regierung die Wirtschaft wirklich dauerhaft schaden kann und dass die Unternehmen sich jederzeit auf neue Spielregeln einstellen können. Und bekanntlich enden Amtszeiten ja auch irgendwann.
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Deshalb bleibe ich meiner Strategie treu, ganz stur. Und Sie? Vielleicht werde ich neuerliche Kursrücksetzer auch zu außerplanmäßigen Nachkäufen nutzen. Denn dass es noch ein paar Turbulenzen an den Märkten geben wird, erwarte ich auf jeden Fall. Dann heißt es: Nerven bewahren, nicht verrückt machen lassen.
Wer Ruhe bewahrt, wird an der Börse in der Regel belohnt. Das war nicht nur nach dem starken Rückschlag im April so. Ein Blick in die Geschichte beweist es auch. Ob Corona-Absturz, Finanzkrise oder Dotcom-Blase: starke Rückschläge waren oft der Auftakt für kräftige Erholungen. Ich bin überzeugt: Langfristiges Investieren, Disziplin und ein kühler Kopf sind auch diesmal die beste Strategie.
Kurzfristige Marktverwerfungen können auch mich verunsichern. Geht es Ihnen da ähnlich? Wenn die Börsenkurse Achterbahn fahren wie im April, dann ist das nicht gut für mein Bauchgefühl. Obwohl ich weiß, dass sich die Märkte oft schneller erholen als viele Akteure erwarten – auch das zeigt die Geschichte.