Der Online-Versandhändler Amazon testet verschiedenen Medien zufolge den Einsatz von humanoiden Robotern für die Paketzustellung. Wie das US-Technikmagazin The Information berichtet, sollen diese Roboter in Zukunft aus den bereits tausendfach im Einsatz befindlichen elektrischen Lieferwagen des US-Herstellers Rivian Automotive aus dem kalifornischen Irvine aussteigen und die Pakete autonom bis zur Haustür der Kund:innen transportieren. Ziel sei es, die Effizienz auf der sogenannten letzten Meile signifikant zu steigern.
Um die Fähigkeiten der Roboter unter praxisnahen Bedingungen zu erproben, hat Amazon laut The Information eine spezielle Testumgebung in einem seiner Standorte im kalifornischen San Francisco eingerichtet. Diesen „Humanoid Park“ müssen wir uns wohl als eine Art Indoor-Hindernisparcours vorstellen, der reale Zustellsituationen wie Treppen oder unterschiedliche Eingangsbereiche simuliert. Ein Rivian-Transporter soll ebenfalls vor Ort bereitstehen, um das Ein- und Aussteigen der Roboter sowie die Paketübernahme aus dem Fahrzeug zu testen.
Chinesische Hardware, eigene Software-Intelligenz
Amazon evaluiert offenbar verschiedene humanoide Robotermodelle für diese Aufgabe. Namentlich wird in einem Bericht von Electrek der G1 des chinesischen Unternehmens Unitree Robotics aus Hangzhou erwähnt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass weitere Modelle folgen werden.
Ein besonders spannender Aspekt ist die Software-Seite. Amazon setzt dem Vernehmen nach nicht auf fertige Lösungen, sondern entwickelt eine eigene Steuerungssoftware für die humanoiden Zusteller. Dabei sollen fortschrittliche KI-Modelle wie das chinesische DeepSeek-VL2 und Qwen, ein Sprachmodell des ebenfalls chinesischen Technologiekonzerns Alibaba aus Hangzhou, zum Einsatz kommen. Diese Entwicklung unterstreicht Amazons Ambitionen im Bereich der „Agentic AI“, also KI-Systemen, die eigenständig komplexe Aufgaben ausführen können.
Von der Lagerhalle auf die Straße: Eine neue Herausforderung
Amazon verfügt bereits über umfangreiche Erfahrung mit Robotik. Über 750.000 Roboterarme und fahrerlose Transportsysteme sind in den Logistikzentren des Konzerns weltweit im Einsatz, um Prozesse zu beschleunigen und Mitarbeiter:innen zu entlasten. Seit einiger Zeit testet Amazon dort auch humanoide Roboter, wie etwa das Modell Digit von Agility Robotics aus Corvallis im US-Bundesstaat Oregon, das beim Heben und Bewegen von Behältern hilft.
Der Schritt von der kontrollierten Umgebung eines Lagers in den unvorhersehbaren öffentlichen Raum stellt jedoch eine gänzlich neue Herausforderung dar. Wetterbedingungen, unebene Gehwege oder die Interaktion mit unvorhersehbaren Elementen wie spielenden Kindern und Haustieren sind nur einige der Variablen. Expert:innen weisen darauf hin, dass humanoiden Robotern trotz Fortschritten bei der KI oft noch der sprichwörtliche „gesunde Menschenverstand“ für unvorhergesehene Situationen fehlt.
Zudem seien der hohe Energieverbrauch für komplexe Bewegungen und die Gewährleistung der Sicherheit im direkten Umfeld von Menschen noch ungelöste Probleme. Amazons früheres Projekt mit kleinen, sechsrädrigen Lieferrobotern namens Scout wurde 2022 eingestellt, unter anderem weil die Navigation im realen Umfeld zu komplex war.
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Ausblick: Die Zukunft der Zustellung und ihre Implikationen
Ob und wann humanoide Roboter flächendeckend Pakete für Amazon ausliefern werden, darf als völlig offen bezeichnet werden. Die aktuellen Tests befinden sich in einer frühen Phase. Nach den Erprobungen im „Humanoid Park“ seien aber bereits „Exkursionen“ in die reale Welt angedacht, wie Electrek weiter berichtet. Solche Tests im öffentlichen Raum werfen jedoch auch regulatorische Fragen auf, da es beispielsweise noch an spezifischen Sicherheitsstandards und Genehmigungsverfahren für autonom agierende humanoide Roboter im Alltag mangelt.
Dennoch ist die Entwicklung aus mehreren Gründen von großem Interesse: Sie zeigt nicht nur die rasanten Fortschritte in der humanoiden Robotik und der angewandten KI, sondern wirft auch wichtige Fragen zur Zukunft der Arbeit im Logistiksektor auf. Die Kombination aus elektrischen Lieferfahrzeugen und autonomen Robotern dürfte zudem ein weiterer Baustein in Amazons Strategie sein, die Zustellung nachhaltiger zu gestalten und das Ziel der Netto-Null-Kohlenstoffemissionen bis 2040 zu erreichen.