In Deutschland wurden letztes Jahr 196.000 Unternehmen geschlossen – das reicht an das Niveau während der Finanzkrise-Nachwehen heran. Auffällig ist der Anstieg auch bei größeren Unternehmen. Vor allem in einem Bereich ist der Anstieg enorm.
In Deutschland mussten 2024 so viele Unternehmen schließen wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Gut 196.000 Firmen haben ihre Geschäftstätigkeit eingestellt, 16 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, zeigt eine aktuelle Analyse der Wirtschaftsauskunftei Creditreform und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Damit reicht das Niveau mittlerweile an die Nachwehen der Finanzkrise heran. „Die Schließungszahlen sind in allen Wirtschaftsbereichen alarmierend“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter des Bereichs Wirtschaftsforschung bei Creditreform.
Zumal es laut Untersuchung nicht nur um Pleitefirmen geht oder um inhabergeführte Kleinstbetriebe. „Auffällig ist der starke Anstieg an Schließungen größerer, wirtschaftlich aktiver Unternehmen“, heißt es in der Studie. Und dass es diesen Trend nun schon im dritten Jahr hintereinander gebe.
2024 wurden demnach gut 4000 solcher Betriebe abgemeldet und damit fast doppelt so viele wie in einem durchschnittlichen Jahr. „Das ist ein klares Alarmsignal an die Wirtschaftspolitik“, sagt Experte Hantzsch.
„Viele Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland, schließen Standorte oder investieren gar nicht mehr in Deutschland.“ Die deutsche Wirtschaft verliere dadurch zunehmend an Substanz und Know-how.
Denn beschleunigt haben sich die Schließungszahlen zuletzt vor allem in der Industrie. Als Grund nennt Hantzsch die anhaltend schwache wirtschaftliche Lage und die stetig verschlechterten Standortbedingungen.
„Die Industriebetriebe leiden unter den hohen Energiekosten in der Produktion, während der Wettbewerbsdruck durch ausländische Anbieter steigt.“ Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider: In energieintensiven Branchen zum Beispiel wurden im vergangenen Jahr 1050 Betriebsschließungen registriert, ein Plus von 26 Prozent. In der Chemie- und Pharmaindustriegaben gaben 360 Unternehmen auf – das ist der höchste Stand seit über 20 Jahren.
Und auch im Bereich der technologieintensiven Dienstleistungen, also etwa in der IT, Produktentwicklung, Umwelttechnik oder Diagnostik, sind die Zahlen überdurchschnittlich stark gestiegen, konkret um fast ein Viertel auf fast 14.000.
„Tatsächlich müsste dieser Sektor als Zukunftsbranche eigentlich wachsen“, warnt ZEW-Forscherin Sandra Gottschalk. Doch es herrsche ein gravierender Fachkräftemangel.
Anstieg in der Wohnungswirtschaft um 20 Prozent
„Die daraus resultierenden Engpässe zwingen Unternehmen dazu, um knappe Ressourcen zu konkurrieren. Das führt dazu, dass nicht genug Aufträge angenommen werden können, um wirtschaftlich zu arbeiten“, erläutert Gottschalk.
Über die Industrie hinaus gibt es ausgeprägte Negativtrends unter anderem in der Wohnungswirtschaft. Dort stieg die Zahl der Schließungen um 20 Prozent auf fast 10.000 Unternehmen.
„Die Kapazitäten im Wohnungsmarkt schrumpfen – auch wegen fehlendem Fachkräftenachwuchs. Das sind schlechte Nachrichten für die neue Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag eigentlich einen Wohnungsbau-Turbo angekündigt hat“, sagt Creditreform-Experte Hantzsch.
Angespannt bleibe die Lage zudem auch im Gesundheitswesen. Dort haben sich die Schließungsfälle um acht Prozent auf fast 11.000 erhöht. „Die flächendeckende Versorgung mit Arztpraxen und Apotheken dürfte sich damit weiter verschlechtern.“
Dass wirtschaftliche Schwierigkeiten der Grund für eine Betriebsaufgabe sind, hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Das zeigt auch die zuletzt deutlich steigende Zahl an Unternehmensinsolvenzen.
Wobei neun von zehn Betrieben ihre Türen für immer schließen, ohne pleite zu sein. Gerade kleine Betriebe sterben abseits der öffentlichen Wahrnehmung im Stillen: Die Gründe sind vielfältig: etwa, weil kein Nachfolger gefunden wird, plötzliche Todes- oder Krankheitsfälle der Inhaber eine Fortführung der Geschäfte unmöglich machen, keine Mitarbeiter mehr gefunden werden oder weil der Investitionsstau nicht mehr zu bewältigen ist oder das Geschäftsmodell nicht mehr zukunftsfähig ist.
Vor allem die Schließung kleiner Unternehmen findet in der Regel freiwillig statt, heißt es in der Untersuchung von Creditreform und ZEW. Danach liegt der Anteil nicht gesetzlich erzwungener Marktaustritte bei Betrieben mit weniger als fünf Mitarbeitern in den letzten fünf Jahren bei 92 bis 94 Prozent.
Bei diesen kleineren, überwiegend inhabergeführten Unternehmen haben sich die Schließungszahlen zuletzt aber nur moderat erhöht. Mit der Größe eines Unternehmens sinkt dann der Anteil der freiwilligen Rückzüge. So liegt er bei Firmen mit mindestens 20 Beschäftigten nur noch bei 50 bis 66 Prozent, zeigt die Untersuchung.
Regional von Unternehmensschließungen sind sowohl Metropolen und Agglomerationsräume als auch ländliche Räume betroffen. Jedenfalls unterscheiden sich die Schließungsquoten laut Analyse im Branchendurchschnitt wenig nach dem Grad der Bevölkerungsdichte.
Vor allem in den Dienstleistungsbranchen wurden in allen Regionstypen etwa gleich hohe Schließungsraten registriert. Anders bei den energieintensiven Industriebranchen.
Die sind allerdings ohnehin stärker in hoch verdichteten Ballungsräumen anzutreffen, also sind die Schließungsraten in diesem Bereich dort entsprechend höher. Geografisch sind vergleichsweise geringe Schließungsraten in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen vorzufinden, während Bremen, Berlin und Brandenburg im Bundesländervergleich vorn stehen.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.