AG Frankfurt: Fahrverbot trotz familiärer Notlage bei erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung
Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 10.03.2020 – 971 OWi 955 Js 65423/19
Das Amtsgericht Frankfurt a. M. hat in einem Bußgeldverfahren entschieden, dass eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts auch dann zu einem Fahrverbot führen kann, wenn der Betroffene sich subjektiv in einer familiären Ausnahmesituation befand. Eine Rechtfertigung durch Notstand im Sinne des § 16 OWiG wurde abgelehnt.
Zum Sachverhalt
Der Betroffene wurde am 28. August 2019 um 18:23 Uhr mit 80 km/h in einer auf 30 km/h begrenzten innerörtlichen Zone gemessen – nach Abzug der Toleranz ergab sich eine Geschwindigkeitsüberschreitung von exakt 50 km/h. Die Messung erfolgte mit einem geeichten und ordnungsgemäß betriebenen Gerät des Typs PoliScanSpeed. Die Beschilderung war für den Fahrer deutlich erkennbar und nicht zu übersehen.
Der Betroffene war nicht unvorbelastet: In der Vergangenheit war er bereits durch einen Rotlichtverstoß mit Fahrverbot sowie eine frühere Geschwindigkeitsüberschreitung auffällig geworden.
Die Einlassung des Betroffenen
Der Fahrer trug vor, dass seine Ehefrau sich beim Kochen am Finger verletzt habe. Aufgrund starker Blutung und einer früheren schlechten Erfahrung mit dem Rettungsdienst habe er sie selbst schnellstmöglich ins Krankenhaus bringen wollen. Er habe in dieser Ausnahmesituation nicht an die zulässige Höchstgeschwindigkeit gedacht.
Die Wunde wurde später durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst versorgt. Es handelte sich um eine etwa 2 cm lange, nicht lebensbedrohliche Schnittwunde mit Einschränkungen der Beweglichkeit des Fingers.
Rechtliche Bewertung des Gerichts
Das Gericht prüfte eingehend, ob ein rechtfertigender Notstand nach § 16 OWiG vorlag – und verneinte dies:
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Es habe keine gegenwärtige Gefahr für Leben oder Gesundheit bestanden, die ein sofortiges Eingreifen des Betroffenen erforderlich gemacht hätte.
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Es habe eine zumutbare Alternative bestanden: Der Betroffene hätte einen Rettungswagen rufen können.
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Subjektives Misstrauen gegenüber dem Rettungsdienst genüge nicht, um eine derart erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung zu rechtfertigen.
Entsprechend wurde der Betroffene zu einer Geldbuße von 235 Euro verurteilt; darüber hinaus verhängte das Gericht ein einmonatiges Fahrverbot (§ 25 Abs. 1 StVG).
Was bedeutet das für Betroffene?
Das Urteil zeigt deutlich: Auch wenn eine persönliche Ausnahmesituation vorliegt, reicht dies nicht ohne Weiteres aus, um von einem drohenden Fahrverbot verschont zu bleiben. Die Schwelle für die Annahme eines rechtfertigenden Notstands ist hoch. Eine nachvollziehbare Erklärung allein genügt nicht – entscheidend ist, ob objektiv eine nicht anders abwendbare Gefahr bestand.
Wenn Sie selbst von einem Fahrverbot oder einer empfindlichen Geldbuße bedroht sind, empfiehlt sich frühzeitig die Einschaltung eines im Verkehrsrecht erfahrenen Anwalts. In vielen Fällen lassen sich Sachverhalt und Einlassung gezielt aufbereiten – insbesondere wenn medizinische, familiäre oder berufliche Aspekte von Bedeutung sind.
Fazit
Die Entscheidung des AG Frankfurt macht deutlich, dass persönliche Motive – so nachvollziehbar sie auch sein mögen – im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht nur in engen Grenzen berücksichtigt werden. Wer unter hohem Zeitdruck handelt, trägt dennoch die Verantwortung für die Einhaltung der Verkehrsregeln.
Wenn Ihnen ein Fahrverbot droht oder Sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden, sollten Sie nicht zögern, anwaltlichen Rat einzuholen. Nur so kann frühzeitig geprüft werden, ob und wie auf den konkreten Einzelfall Einfluss genommen werden kann.