Seit 2022 gilt in Deutschland durch die erfolgte Umsetzung bereits zuvor geltenden EU-Rechts ein „neues Kaufrecht“. Gegenüber dem bisherigen Verkaufsrecht ergeben sich insbesondere für den Bereich der Verbrauchsgüterverträge teils erhebliche Veränderungen, und zwar konkret ab dem Stichtag 1. Januar 2022. In der Kundenkommunikation gelten seitdem neue Begrifflichkeiten mit teils unerwarteten Konsequenzen, auch wenn die Vertragspartner bislang von den neuen Regeln gar nichts wussten. Wer im tagtäglichen Geschäftsleben mit Verbrauchsgüterverträgen zu tun hat, muss dringend seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen anpassen, insbesondere für den Fall, dass die Beschaffenheit der Ware „Objektiv“ nicht ausreichend bewertet werden kann, um Streit mit subjektiv unzufriedenen Kunden auszuschließen.
Es geht um die nationale Umsetzung der europäischen Warenkaufrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/771, „WKRL“). Bislang galt in Deutschland die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie aus dem Jahr 1999. Der Bundestag hat im Juni 2021 ein „Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“ beschlossen und damit das „neue Kaufrecht“ auf den Weg gebracht. Zur Umsetzung gibt es das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen“ (Umsetzung der Richtlinie, (EU) 2019/770, „dID-RL“. Zentrales Element der neuen Rechtsprechung ist eine stärkere Berücksichtigung „smarter Einkaufsmöglichkeiten“ über Apps und den damit notwendig werdenden Verbraucherschutz auf diesem Gebiet.
Konkret ist die neue und zeitgemäßere Definition des Begriffs „Sachmangel“ ein zentraler Punkt der Regelungen. Für Sachmängel, die zu Rückgabe, Nachverhandlung, Nachbesserung oder Minderung verpflichten, gibt es neue Bewertungsrichtlinien. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei im Grundsatz drei verschiedene Produkte
- Digitale Produkte – also alles, was gestreamt, online gekauft oder irgendwo heruntergeladen werden kann mit einem eindeutigen Eigentumsvorbehalt in Form einer vertraglich abgesicherten Nutzungsgenehmigung.
- Waren mit digitalen Elementen – Also jegliche Form von Hardware, bei der Software zentraler Funktionsbestandteil ist – Also z.B. eine Smartwatch
- Analoge Waren wie z.B. eine Axt
Dadurch entsteht zu 1. als Rechtsmittel der Verbrauchervertrag über digitale Produkte nach §§ 327 ff. BGB n.F. eine neue Vertragsart, die sowohl reine Eigentums- und Nutzerrechte betrifft, aber auch gemeinsame Nutzung von Portalen oder Datenbanken. Da der Gesetzgeber diese Form von Produkten eigenständig behandelt haben will, wurde eine Abgrenzung zum bisherigen Kaufrecht nach (§ 475a BGB) notwendig. Es wurde eine zentrale Verpflichtung zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit und der Qualität digitaler Produkte eingebaut, der Anbieter z.B. durch Sicherstellung von Updates oder Datenbankpflege nachkommen müssen. Etwas schwammig formuliert ist die Dauer der Funktionsfähigkeit digitaler und teildigitaler Produkte: Solang der Käufer dies erwarten darf. Verkäufer solcher Waren unterliegen einer Aktualisierungspflicht. Gewährleistungsansprüche können demzufolge auch dann entstehen, wenn das Produkt im Moment des Gefahrenübergangs, also beim Kauf, sachmängelfrei war.
Die Dauer dieser Aktualisierungspflicht festzulegen, überlässt der Gesetzgeber den Beteiligten: Zur Festlegung einer wirksamen Frist könne Werbeaussagen, verwendeten Materialien, der Kaufpreis und die übliche Verwendungsdauer nützlich sein. Wenn der Hersteller nicht der verantwortliche Software-Entwickler ist, muss der Ausschluss der Aktualisierungspflichten in Kaufverträgen klar erkenntlich und nachvollziehbar sein.
Man ist bemüht: und zwar um eine klare Definition des Status „Frei von Sachmängeln“ – dazu gibt der Gesetzgeber drei Blickwinkel vor: Sachmangelfreiheit muss subjektiven (1) wie objektiven (2) Anforderungen entsprechen und – in Fällen, wo montiert wird – auch den Montageanforderungen (3) standhalten.
Subjektive Anforderungen beziehen sich auf die Erwartungen und Bedürfnisse des Käufers, die über die allgemeinen, objektiven Anforderungen hinausgehen. Während objektive Anforderungen allgemein an die Ware gestellt werden (z. B. die Ware muss in einem bestimmten Zustand oder bestimmter Beschaffenheit sein), beziehen sich subjektive Anforderungen auf die speziellen Wünsche oder Anforderungen des Käufers.
Subjektive Anforderungen im neuen Kaufrecht betreffen also zusätzliche, individuelle Wünsche des Käufers an die Ware, die über die allgemein gültigen Standards hinausgehen und im Vertrag spezifiziert werden können. Werden diese Anforderungen nicht erfüllt, kann der Käufer gegebenenfalls auch dann Rechte geltend machen, wenn die Ware den objektiven Anforderungen entspricht.
Eine Montageanforderung bezieht sich auf die besonderen Anforderungen oder Erwartungen, die ein Käufer an die Montage oder Installation einer gekauften Ware stellt. Diese Anforderungen können entweder vertraglich festgelegt sein oder sich aus den Umständen des Einzelfalls ergeben. Wenn eine Ware oder ein Produkt (z. B. Möbel, Maschinen oder Anlagen) montiert oder installiert werden muss, können Montageanforderungen zusätzliche Bedingungen sein, die die Art und Weise betreffen, wie die Montage durch den Verkäufer oder einen Dritten (z. B. einen Montageservice) zu erfolgen hat.
Und was ist jetzt neu: Ein Sachmangel kann vorliegen, auch wenn die Sache der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, also objektiv in Ordnung ist, in der subjektiven Betrachtung durch den Kunden aber einen Mangel aufweist
Alles in allem ergibt sich eine grundsätzliche Stärkung von Gewährleistungsrechten der Verbraucher. Dies wird zu nachfolgenden Punkten besonders deutlich:
- Nach Mitteilung über einen Mangel entfällt die Notwendigkeit eines ausdrücklichen Nacherfüllungsverlangens
Meldungen über Mängel, die sich erst am Ende der Gewährleistungsfrist zeigen, verlängern faktisch die Gewährleistungszeit. Für gemeldete Mängel endet die Gewährleistung nicht vor 4 Monaten nach dem erstmaligen Auftreten eines Problems. Das wird wichtig für Warenwirtschaftssysteme, die das Vorhandensein für Ersatzteile für noch im Einsatz befindliche Produkte garantieren müssen.
- Produktion und Handel müssen sich auf eine erhebliche Zunahme von Gewährleistungsfällen einstellen
Dazu hat der Gesetzgeber die Umkehr der Beweislast festgelegt. Der Verbraucher, der einen Mangel zur Kenntnis bringt, der angeblich schon im Moment des Kaufs vorgelegen hat, hat dazu nun bis zu 12 Monaten Zeit. - Garantieerklärungen
Ausführungen zur Garantie müssen dem Verbraucher seit 1. Januar 2022 ungefragt schriftlich oder auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Hier droht die Gefahr, dass bei Nichtbeachtung durch den Verkäufer ein Rückgabeanspruch entsteht.
Hersteller, Händler und Verkäufer müssen ihr Business – falls noch nicht geschehen – dringendst an die neuen Regelungen ausrichten und z.B. Kaufverträge an den neuen Sachmangelbegriff anpassen und die Verantwortung für Informations- und Lieferpflichten zwischen Händlern und Herstellern deutlich klären. In einigen Fällen müssen sicherlich auch operative Abläufe angepasst werden. Unter Umständen müssen Produkte auch ganz aus dem Angebot genommen werden, wenn für diese der Begriff „Sachmangelfrei“ z.B. subjektiv nicht erreicht werden kann. Neben dem Streit mit dem Kunden droht auch die Gefahr von Abmahnungen und Klagen von Verbraucherschutzverbänden (UKlaG).