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Keine Karenzzeit, härtere Sanktionen und ein neuer Name: Die Regierung hat sich bei der Bürgergeldreform auf letzte Details geeinigt. Heute ging der Entwurf zur Grundsicherung durch das Bundeskabinett. Was soll sich ändern?
Das Bürgergeld soll bald Geschichte sein, doch das Vorhaben ist für beide Regierungspartner sensibel. Die Union setzt damit ein zentrales Wahlversprechen um, die SPD stimmt der Rückabwicklung ihres eigenen Projekts aus der Vorgängerregierung zu – auch gegen Widerstände aus der eigenen Parteijugend, die sogar ein Mitgliederbegehren gegen die Reform angestrengt hatte. Nun hat sich die Koalition auf letzte Details geeinigt.
Was soll sich ändern?
Mit dem neuen Namen Grundsicherung kommen auch andere Bedingungen: Kern der Reform sind schärfere und schnellere Leistungskürzungen. Die monatliche Zahlung kann bei Pflichtverletzungen wie der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit direkt um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden. Das wären derzeit rund 150 Euro pro Monat weniger. Wiederholte Terminversäumnisse können bis zur vollständigen Einstellung aller Leistungen führen.
Mitwirkungspflichten sollen stärker eingefordert werden: Wer bei zwei Jobcenter-Terminen ohne wichtigen Grund fehlt, erhält laut Gesetzentwurf 30 Prozent weniger Geld. Beim dritten versäumten Termin werden die Zahlungen vorerst gestrichen, die Miete wird direkt an den Vermieter überwiesen. Wenn die betroffene Person dann innerhalb eines Monats im Jobcenter erscheint, werden die geminderten Leistungen im Nachhinein erbracht. Wenn nicht, entfällt der Anspruch auf Leistungen komplett.
Es gibt aber auch Förder-Ausweitungen: Die Gruppe derer vergrößert sich, die Anspruch auf ein gefördertes Arbeitsverhältnis haben. Künftig soll laut Regierungskreisen nicht die Dauer der Arbeitslosigkeit Zugangskriterium sein, sondern die des Leistungsbezugs. Davon profitierten insbesondere Frauen und Geflüchtete, die bisher zwar Leistungen erhalten haben, aber etwa wegen Kinderbetreuung oder Teilnahme an Integrationskursen formal nicht als arbeitslos galten.
Welche Punkte waren zuletzt strittig?
Die Diskussion in der Koalition drehte sich zuletzt darum, ob Betroffene vor der Komplettstreichung noch eine persönliche Anhörung beim Amt bekommen sollen: SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas wollte damit sicherstellen, dass die Sanktionen „nicht die Falschen“ treffen – etwa Menschen mit psychischen Erkrankungen. In der Union wurde befürchtet, dass die Komplettsanktionen untergraben werden, wenn Betroffene vorher persönlich angehört werden müssen. Zwei unionsgeführte Ministerien legten deshalb ein Veto gegen den Bas-Entwurf ein.
Nun steht die regierungsinterne Einigung: Statt eines verpflichtenden Gesprächs sei nun laut Regierungskreisen eine weichere Formulierung eines Kontaktversuchs gefunden worden: Menschen, die als nicht erreichbar gelten, sollen noch eine Gelegenheit zur Anhörung bekommen. Die Formulierung „Gelegenheit“ bedeute, dass das Jobcenter seiner Pflicht nachkomme, indem es den Kontaktversuch ernsthaft unternehme und die Anhörung anbiete. Scheitert dies, weil die Person das Angebot nicht wahrnehme, könne das Verfahren dennoch weiterlaufen.
Wer bekommt überhaupt Bürgergeld?
Etwa 5,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger und deren im Haushalt noch lebende Kinder bezogen im Jahr 2024 nach Regierungsangaben Bürgergeld. Davon waren knapp vier Millionen erwerbsfähig. Darunter sind etwa 800.000 sogenannte Aufstockende, deren Gehalt unter dem Bürgergeld-Niveau liegt. Der Ausländeranteil im Bürgergeld liegt bei knapp 48 Prozent. Wer seine Arbeit verliert, erhält ein Jahr lang Arbeitslosengeld und danach Bürgergeld.
Was wird fürs Bürgergeld ausgegeben?
Die Ausgaben lagen 2024 bei 51,7 Milliarden Euro. Darunter entfielen auf die Zahlung der Regelsätze 29,2 Milliarden Euro, auf Miet- und Heizkosten 12,4 Milliarden Euro und auf Leistungen zur Arbeitsintegration 3,7 Milliarden Euro. Für 2025 wird mit ähnlichen Ausgaben gerechnet.
Wie viel Geld soll die Reform einsparen?
Unionspolitiker, darunter Kanzler Friedrich Merz, verwiesen zunächst auf Einsparpotenziale im Milliarden-Bereich. Arbeitsministerin Bas erwartet hingegen „keine nennenswerten Einsparungen“ allein durch die Reform. Für 2026 beziffert ihr Ministerium die auf rund 86 Millionen Euro. Die Reform führt laut Gesetzentwurf in den ersten beiden Jahren zu einer Nettoentlastung der öffentlichen Haushalte, die sich in den Folgejahren jedoch in leichte Mehrkosten verkehrt, vor allem durch Mehrkosten der Bundesagentur für Arbeit.
Die Koalition hofft allerdings, durch Sanktionsverschärfungen mehr Menschen in Arbeit zu bringen. So würden 100.000 Menschen, die kein Bürgergeld mehr bekommen, rund 850 Millionen Euro einsparen, rechnet das Arbeitsministerium vor.
Bekommen Menschen auch Bürgergeld, wenn sie noch Erspartes haben?
Ja, aber eingeschränkt: Die Reform sieht die komplette Abschaffung der sogenannten Karenzzeit vor. Das betrifft nur das Bürgergeld und nicht das Arbeitslosengeld: Wer den Job verliert, muss also nicht sofort ans Ersparte.
Seit der Bürgergeldreform von 2023 durften im ersten Bezugsjahr Vermögen bis 40.000 Euro und weiteren 15.000 Euro für Lebenspartner behalten werden. Nach Ablauf dieser sogenannten Karenzzeit wird zum Beispiel die Verhältnismäßigkeit von übernommenen Mietkosten geprüft. Gegebenenfalls müssen Bürgergeldempfänger umziehen oder Mieten teilweise selbst zahlen. Autos, selbstbewohnte Immobilien und die Altersvorsorge werden nicht angerechnet.
Wie ist die Rechtssprechung zu den schärfsten Sanktionen?
Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2019, dass bezogen auf die damalige Regelung 60 Prozent und 100 Prozent Kürzungen unzulässig waren. Gleichzeitig hat es die Tür ein Stück weit geöffnet, dass unter bestimmten Bedingungen eine vollständige Kürzung verfassungsgemäß sein kann, erläutert die ARD-Rechtsredaktion: Nämlich dann, wenn Betroffene es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar selbst zu sichern.
Das heißt: Das Gericht hat die Möglichkeit offen gelassen, dass bei sich weigernden Personen um 100 Prozent gekürzt wird. Nötig ist aber etwa, dass es keine starre Kürzung gibt. Sobald also die Weigerungshaltung nicht mehr fortbesteht, müssten staatliche Leistungen wieder fließen. Ob eine neue Regelung diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wird im Zweifel wieder das BVerfG entscheiden – dann basierend auf den konkreten, neuen Regelungen.
Mit Informationen von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

