In Brüssel beginnen die finalen Verhandlungen darüber, ob auch künftig vegetarische Würstchen oder Schnitzel nach Fleischgerichten benannt werden dürfen. Hersteller wie Rügenwalder Mühle befürchten Umsatzeinbußen.
„Am Anfang sah es aus wie Kirschjoghurt“, erinnert sich Produktentwicklerin Katrin Gros. „Man wollte eine Teewurst machen. Aber das hat überhaupt nicht funktioniert, weil wir eine ganz andere Textur bekommen haben, sodass wir gesagt haben: Lass uns doch lieber eine Leberwurst daraus machen. Es gab also Zufallsprodukte.“
Gros war von Anfang an dabei als das niedersächsische Unternehmen Rügenwalder Mühle aus Bad Zwischenahn vor zehn Jahren wie kein zweiter Produzent für Fleischprodukte in Deutschland seine Produktpalette auf den Kopf stellte.
Statt Fleisch wurden nun auch vegetarische Zutaten durch den Fleischwolf gedreht. Und so wurde aus Fleischermeister Heiko Röder, seit 1991 im Unternehmen und bis dato verantwortlich für Kochschinken, der Verantwortliche für den vegetarischen Schinken-Spicker: „Einige haben das nur belächelt. Jeder hat gesagt: ‚Na gut, wir machen da ein paar Muster. Da stellen wir in einer Woche zwei bis drei Tonnen her und dann war’s das gewesen.‘ Das was danach kam, hat uns schon überrascht“, so Gros.
70 Prozent des Umsatzes mit Veggie-Produkten
Aus drei Tonnen pro Woche wurden schnell zehn und bald darauf knackte das Unternehmen die 100-Tonnen-Marke mit Fleischersatzprodukten. „Spätestens da hat es bei allen Klick gemacht“, erinnert sich Röder. „Das ist hier nicht irgendein Zufallsprodukt, das wir irgendwie mal kurz herstellen, sondern das ist Zukunft.“
Rund 70 Prozent ihres Gesamtumsatzes macht Rügenwalder Mühle heute mit Produkten, wie den „veganen Frikadellen“. Doch funktioniert das Geschäftsmodell auch noch, wenn die Produktnamen ohne die Bezeichnungen „Wurst“ und „Schnitzel“ auskommen müssen?
EU-Parlament stimmt für Namensverbot
Für ein Verbot hat vergangene Woche eine Mehrheit aus Rechtsaußen-Fraktionen und Teilen der konservativen EVP-Fraktion um CDU und CSU in Straßburg gestimmt: Begriffe wie Wurst und Schnitzel für Fleischersatz sollen verschwinden. Die Begründung: Der Verbraucherschutz werde dadurch gestärkt, argumentiert etwa die EVP-Abgeordnete Céline Imart. Sie sieht ein „echtes Verwechslungsrisiko“.
Dazu käme: Pflanzenbasierte Ersatzprodukte böten etwa nicht die gleichen Nährwerte wie ihre tierischen Originale, das sei irreführend. Obendrauf gehe es bei dem Begriffsverbot darum, Landwirtinnen und Landwirte zu schützen: Denn pflanzliche Lebensmittelhersteller würden versuchen, den Ruf tierischer Lebensmittel, den Generationen von Landwirten aufgebaut hätten, für die Vermarktung von Konkurrenzprodukten zu nutzen. Die deutschen EU-Abgeordneten, darunter auch von CDU/CSU, haben überwiegend nicht für das Verbot gestimmt.
Stagnation im Wurstsegment
Es stimmt, räumt Rügenwalder-Produktentwicklerin Gros ein: Zur Zeit der Umstellung auf Fleischersatz habe es damals im Wurstsegment eine Stagnation gegeben, was es für das Unternehmen schwierig gemacht habe, neue Fleischprodukte auf den Markt zu bringen.
Und Fleischermeister Heiko Röder fragt sich: „Was wäre passiert, wenn wir nur beim Fleisch geblieben wären? Wären wir dann immer noch so erfolgreich?“ Doch es war auch ein neuer Zeitgeist und „das hochkommende Gefühl der Nachhaltigkeit und die Wichtigkeit in dem Bereich“, erinnert sich Gros.
Röder findet: „Aus meiner Sicht hat unser damaliges Marketing schon früh erkannt, dass wir diese Milliarden von Menschen nicht mit Fleisch ernähren können. Tierwohl hat dabei sicherlich auch eine Rolle gespielt.“
Rügenwalder fürchtet Einschnitte beim Aufschnitt
Nun fürchtet das Unternehmen Umsatzeinbußen im zweistelligen Millionenbereich: „Wir sind uns sicher, dass viele Käufer schon am Regal abgeschreckt werden, wenn sie nicht die bekannten Begriffe wie Wurst oder Schnitzel lesen. Vielleicht greifen sie dann eher zur Fleischvariante, als etwas Neues auszuprobieren“, so eine Unternehmenssprecherin. „Man erwartet ja bei einer Bratwurst etwas bestimmtes und wenn es dann ganz anders heißt, dann weiß man vielleicht auch gar nicht mehr: Was kann ich denn da jetzt erwarten?“
Auch auf Verbraucherseite stößt der Vorschlag des Begriffsverbots aus Straßburg auf wenig Anklang. Die Verbraucherorganisation BEUC verweist darauf, dass Konsumenten durchaus in der Lage seien, Fleisch und Ersatzprodukte zu unterscheiden. „Die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ist über diese Begriffe nicht verwirrt“, schreibt eine BEUC-Expertin in einem Online-Beitrag. Auch die Organisation Foodwatch kritisiert: „Das ist nicht Verbraucherschutz, das ist Lobbyismus im Dienste der Fleischindustrie.“
Entscheidung steht noch aus
Das Bezeichnungsverbot ist Teil eines größeren EU-Vorhabens, das unter anderem die Einnahmen von Landwirten stabilisieren soll. Nicht die EU-Kommission, sondern das Parlament hat das Verbot von Bezeichnungen wie „Veggie-Burger“ oder „Tofu-Schnitzel“ nun zu diesem Gesetzesvorschlag hinzugefügt.
Für den Brüsseler ARD-Korrespondenten Christian Feld ist es deshalb noch völlig unklar, ob es diese Ergänzung in den finalen Kompromiss von EU-Parlament, -Rat und -Kommission schafft. „Vielleicht überlebt dieses Vorhaben die Verhandlungen, vielleicht wird es einfach rausgestrichen.“

