Mietpreise, Arbeitsmarkt, Zuwanderung: Der „Bau-Turbo“ soll gleich mehrere Probleme auf einmal lösen. Eine Studie zeigt nun: Je später der „Bau-Turbo“ zündet, desto extremer werden die Herausforderungen.
Allein in Westdeutschland fehlen nach Einschätzung des Pestel-Instituts mittlerweile 1,2 Millionen Wohnungen. Bei der Studie des Forschungs- und Beratungsinstituts aus Hannover wurden langfristig leerstehende Immobilien bereits rausgerechnet.
Laut den Daten der Studie wurden bis ins Jahr 2000 in Deutschland jährlich mehr als 400.000 Wohnungen gebaut, 1995 waren es sogar 600.000. Danach aber wurden diese Zahlen nicht mehr erreicht. 2009 und 2010 gab es mit rund 160.000 Wohnungen einen Tiefpunkt.
Danach ging es zwar wieder bergauf, aber die politische Zielvorgabe von 400.000 Wohnungen wurde zum Teil weiterhin deutlich verfehlt. Wobei der Mangel die einzelnen Regionen unterschiedlich hart trifft, wie die Leerstandsquoten zeigen.
Angesichts dieser Zahlen hat Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) bei der Eröffnung der Messe Expo Real in München versprochen, dass der vom Bund geplante „Bau-Turbo“ bereits kommende Woche im Bundesrat beschlossen werden soll. Dann könne es auch losgehen, sagte die SPD-Politikerin im Interview mit der ARD.
„Bau-Turbo“ soll vor allem Genehmigungen beschleunigen
Der „Bau-Turbo“ ist allerdings kein Förderprogramm, sondern soll die umfangreiche Bürokratie bei der Bauplanung stark reduzieren. Jahrelange Genehmigungsverfahren sollen auf wenige Monate verkürzt werden können. Man beschleunige die Prozesse, aber man lasse jetzt nicht die Prüfung einfach links liegen, zum Beispiel bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die gehe man stattdessen jetzt pragmatischer an, und natürlich könnten die Städte und Gemeinden sich auch wie gewohnt daran beteiligen.
Der Präsident der Wohnungsbauunternehmen GdW, Axel Gedaschko, aber bleibt skeptisch. Der „Bau-Turbo“ sei kein echter Turbo – wenn überhaupt, dann sei er ein „Bauland-Turbo“. Denn er sorge bisher lediglich dafür, dass Flächen schneller ausgewiesen werden. „Gebaut ist damit noch lange nichts. Hier brauchen wir echte Beschleunigung: digitale und effizientere Verfahren, weniger Bürokratie, verbindliche Zeitpläne.“
Wohnraum als „überragendes öffentliches Interesse“ einstufen
Gedaschko fordert deshalb, dass Wohnraum als „überragendes öffentliches Interesse“ eingestuft wird. Kommunale Abwägungsprozesse müssten dem Wohnungsbau dann denselben Vorrang einräumen wie heute bereits beim Bau von Windkraftanlagen oder künftig beim Verlegen von Glasfaserkabeln.
Matthias Günther, der Geschäftsführer des Pestel Instituts, schlägt zusätzlich vor, das Mietrecht zu reformieren. Viele ältere Menschen hätten Angst davor, ihre Immobilien zu vermieten, weil sie befürchten, rechtlich in die Bredouille zu kommen. Es sollte deshalb seiner Meinung nach für Eigentümer leichter sein, „Mietnomaden oder andere auffällige Mieter“ loszuwerden.
Zudem wies der Immobilienexperte auf den bekannten Umstand hin, dass nach wie vor viele Alleinstehende in großen Wohnungen leben. Statistisch gesehen hätten zwei Millionen Single-Haushalte mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Dies sind häufig ältere Menschen, die aus mehreren Gründen nicht umziehen wollen.
Wohnungsmangel verstärkt Fachkräftezuzug aus dem Ausland
In Regionen, in denen die Nachfrage das Wohnraumangebot massiv übersteigt, könnten Haushalte mit niedrigem Einkommen zudem faktisch nicht mehr umziehen, so Günther. Die Differenz zwischen Angebots- und Bestandsmieten habe ein für diese Einkommensgruppe nicht mehr bezahlbares Ausmaß angenommen. Und auch die dringend benötigte qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland werde durch die massive Unterversorgung mit Wohnraum stark behindert.
Dass es mehr als nur diesen Turbo braucht, weiß auch die Bauministerin Hubertz. Der sei der erste Schritt von vielen, verteidigt sie sich im ARD-Interview. So soll unter anderem mit der geplanten Baugesetz-Novelle auch die Digitalisierung vorangetrieben werden.
Die Studienautoren halten das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr trotz des „Bau-Turbos“ für unerreichbar in der aktuellen Situation. Zwar sind im ersten Halbjahr knapp drei Prozent mehr Wohnungen genehmigt worden als im Vorjahreszeitraum, aber insgesamt waren es eben nur 110.000.
