Ein Video von Friedrich Merz sorgt für Verwunderung. Darin gibt er zu, dass die gesetzliche Rente im Alter nicht ausreichen wird. Dann präsentiert er eine Idee, wie jeder selbst etwas tun kann. Doch eine einfache Rechnung entlarvt die Unwissenheit des Kanzlers.
Beginnen wir mit etwas Positivem: Friedrich Merz ist einen Schritt weiter als sein Vorgänger. Während Olaf Scholz die gesetzliche Rente regelmäßig lobte und für gut befand, weiß der neue Kanzler, dass die gesetzliche Rente für viele nicht zum Leben reichen wird und jeder selbst etwas tun muss. Mit dieser Erkenntnis endet die Renten-Revolution des Kanzlers jedoch.
Aber von Anfang an: Bei Instagram beantwortet Merz regelmäßig Fragen seiner Nutzer. Zur Weltpolitik, zur Führerscheinbremse und anderen Lebensweisheiten. Das Format wirkt etwas steif, aber immerhin bekommen die Bundesbürger ein Plenum. Zuletzt fragte ein Nutzer Merz, ob er sich Sorgen um seine Rente machen müsse.
Die Antwort des Kanzlers: „Nein, vorausgesetzt Du tust in jungen Jahren genug für deine Altersvorsorge. Verlass dich nicht allein auf die gesetzliche Rente.“ Ein ganz kleines bisschen zu sparen im Monat – 10 Euro, 20 Euro, 50 Euro – und das über eine sehr lange Zeit, einfach festgelegt, sichere ein sicheres Alterseinkommen. Damit könne man gar nicht früh genug anfangen.
Das Rentensystem steht vor dem Kollaps
In dieser Antwort verstecken sich mehrere bemerkenswerte Aussagen. Zunächst einmal die Anerkennung, dass die gesetzliche Rente eben nicht reichen wird. Das System ist schon jetzt maximal strapaziert. Während in den 60er-Jahren noch sechs Einzahler auf einen Rentner kamen, sind es heute noch zwei. Tendenz fallend. Jedes Jahr fließen weit über 100 Milliarden aus dem Bundeshaushalt in die gesetzliche Rente. Das System steht ohne schnelle Reformen wie die Anpassung des Renteneintrittsalters vor dem Kollaps.
Daher ist es mehr als klug, privat vorzusorgen. Für junge Menschen ist sogar alternativlos. Nur: Bei genauem Hinschauen entpuppt sich die Investment-Idee des Bundeskanzlers als Nebelkerze. Man kann noch darüber hinwegsehen, dass er mit „festanlegen“ wahrscheinlich das Festgeldkonto meint, das bei den aktuellen Zinssätzen von etwa zwei Prozent allerdings kaum etwas abwerfen dürfte – für langfristigen Vermögensaufbau also untauglich ist.
Aber selbst dann, wenn Merz mit seinem Vorschlag die Raten für einen regelmäßigen ETF-Sparplan meint, geht der Plan nicht auf. Eine Rechnung von „Finanztip“ beispielsweise offenbart die Lücke: Wer im Alter von 20 Jahren jeden Monat 10 Euro in einen globalen Aktien-ETF mit durchschnittlich 6 Prozent Rendite im Jahr investiert, kommt nach 47 Jahren auf 30.000 Euro – vor Steuern. Soll das Geld bis zum Lebensende reichen, sollten davon maximal drei Prozent pro Jahr entnommen werden.
200 Euro pro Monat müssen es schon sein
Unterm Strich bleiben dann weniger als 80 Euro im Monat. Und diese 80 Euro werden bei zwei Prozent Inflation bis zum Alter von 67 nur noch einer heutigen Kaufkraft von rund 30 Euro entsprechen. Es braucht keine ausgeprägte Finanzbildung, um zu erkennen: Dieses Sümmchen wird die Renten-Lücke nicht schließen. Es braucht pro Monat vollkommen andere Summen, um in 30, 40 oder 50 Jahren im Ruhestand gut über die Runden zu kommen.
Wenn sich in den Köpfen der Menschen bei der Rente etwas ändern soll, dann müssen die politischen Lenker dieses Landes die wahren Zahlen und Fakten präsentieren. Denn kennen sollte der Kanzler die wirklich notwendigen Summen. Schließlich war Merz jahrelang Aufsichtsrat des deutschen Ablegers von Blackrock. Die US-Mutter ist der größte Vermögensverwalter der Welt und als globaler ETF-Krösus bekannt. Blackrock vertreibt also das Anlageprodukt, dass auch den jungen Deutschen ihre private Rente sichern soll.
P.S: Wer die Million bis zur Rente schaffen will, muss mindestens 200 Euro pro Monat investieren. Wie genau das funktioniert, können Sie hier nachlesen.
Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit „Business Insider Deutschland“.
Moritz Seyffarth ist Chefredakteur von „Business Insider Deutschland“ und verantwortet die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung von WELT.