Tierhalterhaftung und Zuschauerverhalten in der Reithalle: Wann greift die Tiergefahr?
Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 18. Juli 2017 (Az. 239 C 1390/17) sorgt für Klarheit in einem praxisrelevanten Bereich des Zivilrechts: der Abgrenzung zwischen adäquater Kausalität, Tiergefahr und der deliktischen Haftung Dritter. Im Zentrum steht die Frage: Können Besucher einer Reithalle für Verletzungen haftbar gemacht werden, wenn ein Pferd aufgrund eines Geräusches scheut?
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Der Fall im Überblick: Verletzung durch scheuendes Pferd
Eine Zuschauerin besuchte mit ihren Enkelkindern (drei und fünf Jahre alt) eine Reithalle. Um dem dreijährigen Kind eine bessere Sicht zu ermöglichen, setzte sie es auf die Bande der Halle. Das Kind trug Turnschuhe und schlug mit den Füßen gegen die Holzbande – es entstand ein lautes Poltern.
Gleichzeitig führte die Klägerin ihr Pferd am Zügel durch die Halle. Das Tier erschrak offenbar durch das Geräusch, trat zurück und riss die Klägerin an der Schulter. Die Folge: eine schmerzhafte Schulterverletzung und Forderungen von Schmerzensgeld (3.000 €) sowie Haushaltsführungsschaden (1.879,22 €).
Rechtliche Würdigung: Keine Haftung der Zuschauerin
Das Amtsgericht Nürnberg wies die Klage ab – und stützte sich dabei im Wesentlichen auf folgende rechtliche Erwägungen:
1. Verursachung allein genügt nicht – es braucht Zurechenbarkeit
Zwar erkannte das Gericht an, dass das Verhalten der Beklagten ursächlich war. Doch eine Haftung nach § 823 BGB erfordert zusätzlich die sogenannte adäquate Kausalität und Zurechenbarkeit. Diese sei im konkreten Fall nicht gegeben.
2. Sozialadäquates Verhalten im öffentlichen Raum
Der Besuch einer Reithalle mit kleinen Kindern ist grundsätzlich gesellschaftlich akzeptiert und erlaubt. Die Zuschauerin habe sich – so das Gericht – überwiegend sozialadäquat verhalten. Dass das Kind mit den Füßen gegen die Bande schlug, sei zwar eine Grenzüberschreitung gewesen, aber keine grobe Pflichtverletzung.
3. Tiergefahr als zentrale Ursache
Nach § 833 BGB trägt grundsätzlich der Tierhalter die Verantwortung für durch Tiere verursachte Schäden. Im vorliegenden Fall lag die Ursache der Verletzung letztlich im unberechenbaren Verhalten des Pferdes – und somit in der typischen Tiergefahr, die dem Verantwortungsbereich der Klägerin als Tierhalterin zuzurechnen ist.
Berufung erfolglos: Auch das Landgericht bestätigt die Rechtsauffassung
Die Klägerin legte Berufung beim Landgericht Nürnberg-Fürth ein (Az. 16 S 5049/17). Das Landgericht stellte jedoch klar, dass es die Rechtsauffassung des Amtsgerichts teile. Besonders relevant:
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Die Zuschauerin sei nicht verpflichtet gewesen, für absolute Geräuschlosigkeit ihrer Enkelkinder zu sorgen.
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Es gab keine Hinweise oder Verhaltensanweisungen seitens der Reithallenbetreiber, die auf eine besondere Gefährdung oder Lärmempfindlichkeit der Tiere hinwiesen.
Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.
Rechtliche Einordnung: Grenzen der deliktischen Haftung Dritter
1. Besucher und Zuschauer – keine generelle Sorgfaltspflicht
Nicht jeder, der eine Anlage wie eine Reithalle betritt, wird automatisch zum „Gefahrenverantwortlichen“. Ohne klare Hinweise oder Warnungen kann einem Besucher nicht unterstellt werden, dass er mit außergewöhnlichen Reaktionen von Tieren rechnen muss.
2. Tiergefahr und Eigenverantwortung
Das Urteil verdeutlicht, dass Tierhalter für das unvorhersehbare Verhalten ihrer Tiere haften – auch wenn Dritte Auslöser sein können. Die Rechtsprechung betont, dass Pferde grundsätzlich zu unvorhersehbarem Verhalten neigen und diese „typische Tiergefahr“ vom Halter zu tragen ist – selbst bei Auslösern, die auf den ersten Blick von Dritten stammen.
3. Aufklärungspflichten der Betreiber
Ein relevanter Nebenaspekt: Wären Zuschauer über potenzielle Gefahren für Tiere (z. B. durch Poltern oder Kinderspiel) aufgeklärt worden, könnte sich eine andere Bewertung ergeben. Hier liegt eine gewisse Mitverantwortung bei den Reithallenbetreibern, die künftig auf klare Besucherhinweise achten sollten.
Fazit: Keine Haftung ohne Vorhersehbarkeit – und Tierhalter in der Pflicht
Das Urteil des AG Nürnberg stellt klar: Wer sich als Zuschauer in einer Reithalle aufhält, haftet nicht automatisch für Schäden, die durch eine tierische Reaktion ausgelöst werden. Entscheidend ist, ob das Verhalten vorhersehbar, vermeidbar und zurechenbar war. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Für Tierhalter bedeutet das Urteil eine wichtige Erinnerung an die besondere Verantwortung, die mit der Haltung von Tieren – insbesondere Pferden – verbunden ist.
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