Regress bei mehrfacher Obliegenheitsverletzung voll ausschöpfen
Kurzfassung:
Verstößt ein Versicherungsnehmer gegen mehrere Obliegenheiten vor und nach einem Unfall – etwa durch Fahren ohne Fahrerlaubnis und unterlassene Unfallmeldung –, ist der Versicherer leistungsfrei und kann den Regressanspruch im Innenverhältnis vollständig durchsetzen. Das OLG Brandenburg (Beschl. v. 04.06.2025 – 11 W 7/25) stärkt die Position der Kfz-Haftpflichtversicherer bei der Regressdurchsetzung deutlich.
Hintergrund: Regress nach Pflichtverletzung
Versicherungsnehmer, die ihre vertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzen, riskieren nicht nur den Verlust ihres Versicherungsschutzes – sie müssen auch mit vollständigem Regress rechnen. Im entschiedenen Fall fuhr der VN ohne Fahrerlaubnis, verursachte einen Unfall und unterließ jede Mitwirkung an der Aufklärung des Schadenhergangs.
Die Kfz-Haftpflichtversicherung regulierte dennoch den Fremdschaden gegenüber dem Unfallgegner (§ 115 VVG) und nahm den eigenen Versicherungsnehmer anschließend in Regress.
Mehrfache Obliegenheitsverletzung: Regresssumme darf addiert werden
Das OLG Brandenburg stellt klar: Kommt es zu Obliegenheitsverstößen sowohl vor als auch nach dem Versicherungsfall, können die jeweiligen Regresshöchstbeträge nach § 5 Abs. 3 KfzPflVV addiert werden. Dies stärkt die wirtschaftliche Position des Versicherers bei besonders schweren Pflichtverstößen und erweitert die Handlungsoptionen im Innenverhältnis.
Leistungsfreiheit auch ohne wirksame Einbeziehung der AKB
Selbst wenn sich – wie im entschiedenen Fall – Zweifel an der wirksamen Einbeziehung der AKB ergaben, war dies unschädlich: Das Gericht wendet die Musterbedingungen des GDV über ergänzende Vertragsauslegung an. Entscheidend ist, dass sich die relevanten Obliegenheiten (z.B. Unfallmeldung, Mitwirkungspflicht, Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis) aus den GDV-Standards ergeben – und somit auch bei fehlender wirksamer Einbeziehung verbindlich sind.
Kein Schutz durch das „nemo tenetur“-Prinzip
Versicherungsnehmer können sich nicht auf das strafprozessuale Selbstbelastungsverbot berufen, um ihre vertraglichen Mitwirkungspflichten zu umgehen. Die Entscheidung betont: Der Versicherer ist auf vollständige und wahrheitsgemäße Informationen angewiesen, um seiner Regulierungspflicht nachkommen zu können. Die Aufklärungsobliegenheit bleibt daher auch bei strafrechtlich relevantem Verhalten vollumfänglich bestehen.
Strenge Anforderungen an den Kausalitätsgegenbeweis
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung trägt der Versicherungsnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich sein Obliegenheitsverstoß nicht auf den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat. Im konkreten Fall konnte der VN den Nachweis nicht erbringen – die Kausalitätsvermutung griff durch.
Fazit für die Regulierungspraxis
Die Entscheidung des OLG Brandenburg ist aus Sicht von Versicherungsunternehmen zu begrüßen. Sie:
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bestätigt die Leistungsfreiheit bei mehrfacher und vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung,
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stärkt die Regressmöglichkeiten nach außen geleisteter Entschädigungen,
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ermöglicht die Addition von Regresshöchstbeträgen bei Pflichtverletzungen vor und nach dem Schadenereignis,
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erlaubt die Anwendung der Muster-AKB auch ohne explizite Einbeziehung.
Für Fachabteilungen in der Schadenregulierung, Regressbearbeitung und Vertragsprüfung liefert die Entscheidung eine wichtige Bestätigung: Pflichtverletzungen müssen ernst genommen und Regressansprüche aktiv durchgesetzt werden.
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