Gastronom in Berlin darf aufatmen: In einem Eilbeschluss hat das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin 4. Kammer, Entscheidungsdatum: 08.07.2025, Aktenzeichen: 4 L 66/25) die Rechte eines Gaststättenbetreibers vorläufig gesichert und die Vorverlegung der Sperrzeit für seinen Außenbereich gekippt. Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Sperrzeitvorverlegung für den Schankvorgarten der Berliner Gaststätte wiederhergestellt und die Anordnung, Tische und Sitzgelegenheiten zu entfernen, nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig eingestuft.
Hintergrund des Falls
Ein Gastronom, der seit Mai 1993 eine Schank- und Speisewirtschaft in der Penzlauer Berg in Berlin betreibt und selbst über der Gaststätte wohnt, wehrte sich gegen die vom Bezirksamt Pankow angeordnete Vorverlegung der Sperrzeit für seinen Schankvorgarten von 5:00 Uhr auf 22:00 Uhr. Das Bezirksamt begründete dies mit Anwohnerbeschwerden und einer Prognoseberechnung, die eine Überschreitung der Lärmrichtwerte der TA Lärm ergab.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Verwaltungsgericht Berlin gab dem Antrag des Gastronomen im Wesentlichen statt und stellte die aufschiebende Wirkung seiner Klage wieder her. Die richterliche Abwägung der widerstreitenden Interessen fiel zugunsten des Antragstellers aus. Es ist besonders bemerkenswert, dass das Gericht dabei bereits im Eilverfahren sehr weitreichende und grundsätzliche Erwägungen anstellt.
Fehlende Tatsachengrundlage und nicht schutzwürdiger Immissionsort
Ein zentraler Punkt der Gerichtsentscheidung war die fehlende hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer schädlichen Umwelteinwirkung zur Nachtzeit. Das Gericht bemängelte, dass die Prognoseberechnung des Bezirksamts vom 27. Juni 2024 den Immissionsort im ersten Obergeschoss des Hauses des Gaststättenbetreibers annahm. Da der Betreiber jedoch selbst über der Gaststätte wohnt, ist er nicht schutzwürdig und seine Wohnung kann nicht als nächstgelegener Immissionsort herangezogen werden.
Gesamtabwägung und soziale Akzeptanz
Auch bei Zugrundelegung der Prognoseberechnung überwog die Gesamtabwägung zugunsten des Antragstellers. Das Gericht betonte, dass der Verordnungsgeber im Berliner Stadtgebiet – welches von einem hohen städtebaulichen Verdichtungsgrad geprägt ist – eine Sperrzeit von 5:00 Uhr als ausreichend ansieht. Eine Vorverlegung als Ausnahme zum Regelfall bedarf besonderer Gründe, die hier nicht vorliegen.
Die Kammer stellte fest, dass die örtliche Situation eine hohe soziale und allgemeine Akzeptanz für Lärm aufweist. Dies zeigte sich am Fehlen einer belastbaren Beschwerdelage. Die aktenkundigen Beschwerden stammten im Wesentlichen von einer Person, die so weit entfernt wohnt, dass an ihrer Wohnung keine unzumutbare Immissionsbelastung mehr wahrgenommen werden kann. Zudem hätten sich andere Beschwerden im Kern gegen andere Gaststätten gerichtet.
Vielfältige Lärmquellen und gewachsenes Ausgehviertel
Das Gericht hob hervor, dass die Gegend von einer Vielzahl gastronomischer Einrichtungen geprägt ist und sich somit als ortsüblich darstellt. Die Örtlichkeit weise sich durch hohe Attraktivität für Anwohner und Touristen aus, auf der sich insbesondere abends und nachts viele Menschen aufhalten und auch „Wegbier“ konsumieren. Hinzu kommt ein erheblicher Verkehrslärm durch Straßenbahnlinien, die rund um die Uhr verkehren, und den regelmäßigen Einsatz von Martinshörnern aufgrund der nahegelegenen Feuerwache. Diese vielschichtige Lärmgemengelage führt dazu, dass die Bedeutung der Geräuschimmissionen aus der streitgegenständlichen Gaststätte in den Hintergrund tritt.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung unterstreicht, dass in einem belebten Innenstadtquartier wie dem Penzlauer Berg, das sich über Jahrzehnte zu einem Ausgehviertel entwickelt hat, gaststättentypische Belästigungen zur Ortsüblichkeit gehören. Eine pauschale Vorverlegung der Sperrzeit ohne substantielle und qualifizierte Beschwerden sowie ohne Berücksichtigung der vielfältigen Lärmquellen ist demnach nicht gerechtfertigt. Das Gericht macht deutlich, dass eine solche Maßnahme unverhältnismäßig wäre und die Gefahr der Ausweitung des „wilden“ Aufenthalts von Menschen zur Nachtzeit bestehen würde.
Der Ausgang des Klageverfahrens bleibt nun abzuwarten. Für die Gastronomie in Berlin und für andere urbane Gebiete könnte sie Signalwirkung haben, da sie bereits im Eilverfahren sehr weitreichende Ausführungen in einem rechtsdogmatisch bislang wenig ausdifferenzierten Feld vornimmt. Es würde die Position von Gastwirten in gewachsenen urbanen Ausgehvierteln stärken, wenn sich die vorläufige Rechtsaufassung auch im Hauptsacheverfahren verfestigt.