Vermächtnis zugunsten des Hausarztes – Die aktuelle Rechtsprechung des BGH und ihre Bedeutung für das Erbrecht
I. Einleitung
Die begünstigende Verfügung von Todes wegen zugunsten des Hausarztes oder anderer Betreuungs- und Bezugspersonen ist ein wiederkehrendes Praxisproblem im Erbrecht. Gerade im Notariat und in der anwaltlichen Beratungspraxis stellt sich die Frage: Ist eine solche Zuwendung wirksam oder greift ein (gesetzliches oder standesrechtliches) Verbot? Dieser Beitrag stellt den aktuellen Stand der Rechtsprechung sowie die wichtigsten Argumentationslinien übersichtlich dar – besonders vor dem Hintergrund des neuen Urteils des BGH vom 02.07.2025 (IV ZR 93/24).
II. Der aktuelle BGH-Fall: Sachverhalt und Urteil
Im besprochenen Fall hatte ein Erblasser seinem Hausarzt im Wege eines notariellen Erbvertrages das Eigentum an einem Grundstück vermacht. Im Gegenzug verpflichtete sich der Arzt zu regelmäßiger medizinischer Betreuung. Nach dem Tod des Erblassers forderte der Insolvenzverwalter des Arztes das Grundstück zur Masse zurück, da die Zuwendung angeblich gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 Berufsordnung der Ärztekammer (BO-Ä) verstoße und daher unwirksam sei.
Sowohl das LG Bielefeld als auch das OLG Hamm sahen das Vermächtnis wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä) als nichtig an. Der BGH hob diese Entscheidungen jedoch auf: Selbst ein Verstoß gegen § 32 BO-Ä führe nicht zur Unwirksamkeit nach § 134 BGB, da die Berufsordnung das Verhältnis des Arztes zu seiner Kammer regele, nicht aber in die Testierfreiheit des Patienten eingreife. Eine Beschränkung der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit nach Art. 14 GG sei nur durch Parlamentsgesetz möglich. Berufsrechtliche Sanktionen seien zur Sicherung des Normzwecks ausreichend. Die Sache wurde zur Prüfung einer möglichen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) zurückverwiesen.
III. Rechtlicher Hintergrund und Einzelfallrechtsprechung
1. Testierfreiheit und ihre Grenzen
Die Testierfreiheit ist ein zentrales Recht im deutschen Erbrecht, geschützt durch Art. 14 GG. Sie wird aber durch Gesetze und die guten Sitten begrenzt, insbesondere durch § 134 BGB (Verbotsgesetze) und § 138 BGB (Sittenwidrigkeit).
2. Verbotsgesetze: Standesrecht & Spezialgesetze
Der BGH hat klargestellt: Standesrechtliche Vorschriften wie § 32 BO-Ä binden ausschließlich den Arzt selbst – Verstöße können zu berufsrechtlichen, nicht jedoch zivilrechtlichen Konsequenzen für den Erblasser oder das Testament führen. Anders liegt der Fall allerdings bei speziellen gesetzlichen Zuwendungsverboten, etwa im Heimrecht (§ 14 HeimG, inzwischen durch Landgesetze ersetzt), die gerade die Testierfreiheit der Heimbewohner zum Schutz vor Ausnutzung begrenzen. Hier hat das BVerfG eine erhebliche Einschränkung der Testierfreiheit ausdrücklich gebilligt und Nichtigkeit nach § 134 BGB als verhältnismäßig angesehen.
Auch die neueren Vorschriften im Betreuungsrecht (§ 30 BtOG) verbieten es Berufsbetreuern, geldwerte Vorteile vom Betreuten anzunehmen. Sie ergeben aber – so OLG Nürnberg – keine Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung; lediglich die Annahme ist dem Betreuer versagt.
3. Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und Umstände des Einzelfalls
Ob eine letztwillige Begünstigung unwirksam ist, kann auch an § 138 BGB scheitern, wenn die Verfügung nicht auf selbstbestimmtem Willen, sondern auf unzulässiger Beeinflussung basiert. Hier sind die Gerichte jedoch zurückhaltend: Eine Sittenwidrigkeit wird in der Regel nur bei nachweisbar unfreiwilliger Testierung durch unzulässigen Druck angenommen. Dies ist eine strenge Ausnahme, da eine (übermäßige) Einschränkung der Testierfreiheit vermieden werden soll.
Gerade bei Abhängigkeitsverhältnissen – etwa zwischen Betreuer, Arzt, Pflegedienst und Erblasser – verlangt die Rechtsprechung eine Gesamtwürdigung. Die Annahme einer generellen Unwirksamkeit wäre ein faktisches Testierverbot, das weder vom Gesetzgeber noch von der Verfassung gedeckt wäre. Zuletzt bestätigten das OLG Frankfurt und das OLG Nürnberg diese Linie für Ärzte, Pfleger und Berufsbetreuer mit Verweis auf die Testierfreiheit.
IV. Unterschiede zu anderen Berufsgruppen und Sündenfälle
Bei Beschäftigten in Heimen ist die Rechtslage strenger: Das Heimgesetz (bzw. dessen landesrechtliche Nachfolger) enthalten explizite Zuwendungsverbote zugunsten der Beschäftigten, um die Schutzbedürftigkeit alter Menschen in stationären Einrichtungen zu wahren. Hier tritt im Regelfall Nichtigkeit ein – eine Differenzierung, die auch das BVerfG bestätigt hat.
V. Praxishinweise für die anwaltliche Beratung und die notarielle Beurkundung
1. Prüfung der Testierfähigkeit
- Im Zentrum steht (auch bei auffälligen Begünstigungen) immer die Prüfung der Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit. Die Beweislast für Testierunfähigkeit trifft den Anfechtenden. Notare müssen offenkundige Zweifel dokumentieren, dürfen bei unsicherer Sachlage aber nicht ohne Weiteres die Beurkundung ablehnen.
2. Beratungspflichten und Verdachtsfälle
- Der Notar hat in der Beurkundungssituation keine sichere Kenntnis von den Abhängigkeitsverhältnissen. Missbrauchsverdacht sollte offen mit dem Erblasser besprochen und – möglichst ohne Anwesenheit des Begünstigten – gegebenenfalls dokumentiert werden.
3. Einzelfallorientierte Beurteilung
- Beratungs- und Gestaltungsvorschläge sollten die Einzelfallsituation würdigen. Ist die Begünstigung von Zuneigung, Dankbarkeit oder reiner Versorgungstreue getragen, bestehen überwiegend keine Bedenken. Kritisch sind Fälle, in denen Druck, Isolierung des Erblassers oder auffällige Einflussnahme des Begünstigten vorliegen.
VI. Fazit
Die aktuelle Rechtsprechung des BGH stärkt die Testierfreiheit auch im Verhältnis zu Hausärzten und anderen Bezugspersonen mit Abhängigkeitsverhältnis: Standesrechtliche Verbote führen nicht zur Unwirksamkeit eines Vermächtnisses oder einer Erbeinsetzung. Entscheidend bleibt das Fehlen von Sittenwidrigkeit oder Testierunfähigkeit – und hier entscheidet stets der Einzelfall. Im Grenzbereich von Selbstbestimmung und potentielle Beeinflussung gilt es, als Rechtsanwalt oder Notar sorgfältig zu beraten, Verdachtsmomente zu dokumentieren und zugleich dem Willen des Erblassers bestmöglichen Geltung zu verschaffen – mit besonderem Augenmerk auf die rechtlichen Details und aktuelle Rechtsprechung.
Gerne helfen wir Ihnen in erbrechtlichen Fragestellungen bzw. bei der Durchsetzung des Erbrechts weiter!