Ein Beitrag von Michael Böhler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Konstanz
Das Zeugnisverweigerungsrecht spielt im Strafverfahren eine zentrale Rolle. Es schützt das Vertrauensverhältnis zwischen Zeugen und Beschuldigten – sei es durch persönliche Nähe, berufliche Verschwiegenheitspflichten oder das Verbot der Selbstbelastung. Doch häufig stellt sich in der anwaltlichen Praxis die Frage: Muss die Polizei den Zeugen über dieses Recht aufklären? Und was passiert, wenn sie es nicht tut?
1. Was ist das Zeugnisverweigerungsrecht?
Das Strafprozessrecht unterscheidet verschiedene Zeugnisverweigerungsrechte:
a) Persönliches Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO)
Nahe Angehörige des Beschuldigten dürfen die Aussage ganz verweigern. Dazu zählen u. a.:
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Ehegatten und Verlobte,
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Lebenspartner,
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Eltern, Kinder, Geschwister,
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Schwiegereltern und Schwiegerkinder.
b) Berufsbedingtes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO)
Bestimmte Berufsgruppen – etwa Rechtsanwälte, Ärzte, Geistliche oder Journalisten – dürfen sich auf ihre Schweigepflicht berufen und die Aussage verweigern, soweit Informationen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erlangt wurden.
c) Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO)
Dieses Recht steht jedem Zeugen zu, wenn durch seine Aussage die Gefahr einer eigenen strafrechtlichen Verfolgung droht.
2. Belehrungspflichten der Polizei – Was gilt wann?
Die Polizei ist nicht in jedem Fall verpflichtet, über Zeugnisverweigerungsrechte zu belehren. Entscheidend ist der Verfahrensstatus der Befragung.
a) Formelle Zeugenvernehmung (§ 163 Abs. 3 StPO)
Wird ein Zeuge von der Polizei förmlich vernommen, muss die Polizei ihn vor Beginn der Vernehmung ausdrücklich belehren:
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über das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO),
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über das berufliche Aussageverweigerungsrecht (§ 53 StPO),
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über das Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO),
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über das Recht auf anwaltlichen Beistand.
👉 Eine unterbliebene Belehrung kann zur Unverwertbarkeit der Aussage führen.
b) Informatorische Befragung („Gespräch unter vier Augen“)
Im Vorfeld einer formellen Vernehmung oder bei spontanen Gesprächen nehmen Polizeibeamte gerne sogenannte „informatorische Befragungen“ vor. Hier besteht keine gesetzliche Belehrungspflicht – obwohl sich Zeugen oft in einer polizeilichen Vernehmungssituation befinden.
Problematisch: Wird in einem solchen Gespräch eine belastende Aussage gemacht, stellt sich später die Frage der Verwertbarkeit.
Wenn Sie wissen, dass ein Angehöriger betroffen ist, reden Sie am besten überhaupt nicht mit der Polizei!
c) Zeugen mit Aussageverweigerungsrecht
Besteht ein persönliches Zeugnisverweigerungsrecht (z. B. als Ehepartner), muss die Polizei darüber belehren, wenn sie den Status des Zeugen kennt oder kennen müsste. Erfolgt keine Belehrung, ist die Aussage unverwertbar.
3. Rechtsprechung zur fehlenden Belehrung
Die Gerichte setzen in ständiger Rechtsprechung enge Grenzen:
Wird ein Zeuge mit Aussageverweigerungsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt, und macht er eine belastende Aussage, unterliegt diese einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH, Beschluss vom 18.01.2006, Az. 5 StR 341/05).
4. Praxistipp
Bei jeder zeugenschaftlichen Aussage ist zu prüfen:
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Wurde der Zeuge korrekt über seine Rechte belehrt?
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Hatte er ein gesetzliches Aussageverweigerungsrecht?
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Wurde die Aussage in einer informellen Gesprächssituation gewonnen?
In vielen Fällen lassen sich auf diesem Wege Beweisverwertungsverbote durchsetzen, insbesondere wenn nahe Angehörige gegen den Beschuldigten ausgesagt haben, ohne ordnungsgemäß belehrt worden zu sein.
Fazit
Die Pflicht zur Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht ist kein bloßer Formalismus, sondern schützt grundlegende Verfahrensrechte. Als Verteidiger ist es unerlässlich, polizeiliche Zeugenvernehmungen genau auf ihre Rechtskonformität zu prüfen – insbesondere dann, wenn Angehörige, Berufsgeheimnisträger oder potenziell selbst belastete Personen aussagen.
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