Zukünftig droht einigen Unternehmen eine Abmahnung und Bußgelder, sollten sie die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) nicht einhalten. Im Folgenden finden Sie eine umfassende Darstellung des BFSG, seiner Adressaten, Pflichten und Sanktionen sowie konkreter Beispiele.
Zusammenfassung
Das BFSG setzt die EU-Richtlinie 2019/882 („European Accessibility Act“) in deutsches Recht um und erweitert die bislang öffentliche Barrierepflicht auf private Wirtschaftsakteure. Ab dem 28. Juni 2025 müssen Hersteller, Importeure und Händler bestimmter IKT-Produkte (z. B. Smartphones, Tablets, Computer, Selbstbedienungsterminals) sowie Anbieter digitaler Dienstleistungen (E-Commerce, Banking-Apps, Buchungssysteme etc.) barrierefreie Standards erfüllen und eine CE-Kennzeichnung mit EU-Konformitätserklärung vorweisen. Bei Verstößen drohen behördliche Nachforderungen, Marktverbote und Bußgelder bis zu 100 000 €, zudem Abmahnungen durch Wettbewerber mit hohen Anwalts- und Prozesskosten sowie Reputationsschäden. Betroffene haben das Recht, Marktüberwachungsbehörden anzurufen oder direkt zu klagen; bei Untätigkeit der Behörde ist der Klageweg vor dem Verwaltungsgericht offen.
Hintergrund und Zielsetzung
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wurde am 16. Juli 2021 verkündet und ist seit dem 28. Juni 2025 vollständig in Kraft. Ziel ist die Umsetzung des „European Accessibility Act“ auf nationaler Ebene, um harmonisierte Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen im Binnenmarkt zu etablieren. Damit sollen Menschen mit dauerhaften körperlichen, geistigen oder sensorischen Beeinträchtigungen selbstbestimmt am Wirtschaftsleben teilnehmen können.
Anwendungsbereich
Wer ist betroffen?
Adressaten des BFSG sind alle Hersteller, Importeure und Händler der in § 1 Abs. 2 BFSG genannten Produkte sowie Anbieter der in § 1 Abs. 3 BFSG gelisteten Dienstleistungen. Ausgenommen sind ausschließlich Kleinstunternehmen, die unter zehn Beschäftigte und weniger als 2 Mio. € Jahresumsatz erzielen – jedoch nur für reine Dienstleistungen; vertreiben sie Produkte, greifen die Vorschriften auch für sie.
Erfasste Produkte
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Hardwaresysteme für Universalrechner einschließlich zugehöriger Betriebssysteme
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Selbstbedienungsterminals wie Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweis- und Check-in-Automaten sowie interaktive Informations-Terminals
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Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang für Telekom- oder audiovisuelle Mediendienste
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E-Book-Lesegeräte
Erfasste Dienstleistungen
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Telekommunikationsdienste (ohne reine Maschine-Maschine-Übertragungen)
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Personenbeförderungsdienste (Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr) – inklusive Webseiten, mobile Apps, elektronische Tickets und interaktive Bildschirme
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Bankdienstleistungen für Verbraucher
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E-Books und zugehörige Software
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Elektronischer Geschäftsverkehr (z. B. Online-Shops im B2C-Bereich)
Besondere Regelungen zu Beschäftigten
Zur Ermittlung der Mitarbeiterzahl zählen Vollzeitäquivalente, Teilzeitkräfte anteilig, Leiharbeitnehmer vollständig. Auszubildende bleiben unberücksichtigt.
B2B-Shops
Grundsätzlich gelten die Anforderungen nur für Verbrauchergeschäfte. B2B-Shops sind ausgenommen, wenn sie eindeutig nur auf Unternehmen ausgerichtet sind und keine Verbraucher ansprechen.
Umsetzungspflichten
Ab dem 28. Juni 2025 müssen alle betroffenen Produkte eine CE-Kennzeichnung tragen und eine EU-Konformitätserklärung vorliegen. Die technischen Vorgaben basieren auf europäischen Normen (z. B. EN 301 549) und den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1/2.2). Anbieter haben zusätzlich eine Barrierefreiheitserklärung auf ihrer Website zu veröffentlichen.
Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung
Marktüberwachung und Bußgelder
Die Marktüberwachungsbehörden der Länder kontrollieren stichprobenartig. Bei Verstößen erfolgt zunächst eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung mit Fristsetzung. Hält das Unternehmen die Vorgaben nicht ein, kann die Vermarktung untersagt und ein Bußgeld von bis zu 100 000 € verhängt werden.
Wettbewerbs- und zivilrechtliche Risiken
Unzureichende Barrierefreiheit ermöglicht Wettbewerbern Abmahnungen nach dem UWG. Diese ziehen Anwaltskosten in Höhe von mehreren hundert bis tausend Euro nach sich und können in Unterlassungsklagen mit Vertragsstrafen münden. Zudem sind Schadensersatzforderungen möglich, wenn Betroffene konkrete Nachteile nachweisen.
Operative und Reputationsschäden
Bußgelder oder Abmahnungen können zur vorübergehenden Sperrung essenzieller Funktionen (z. B. Checkout-Prozess, Ticket-Apps) führen und damit unmittelbare Umsatzeinbußen verursachen. Öffentlich bekannte Verstöße schaden dem Unternehmensimage und dem Vertrauen von Kunden wie Geschäftspartnern.
Finanzielle und rechtliche Folgen einer Abmahnung
Finanzielle Risiken
Bereits bei einem Gegenstandswert von 10 000 € fallen Anwaltsgebühren von über 1 000 € an (1,3-Gebühr zzgl. Auslagenpauschale und MwSt.). Bei unbeantworteter Abmahnung können Unterlassungsklagen mit weiteren Prozesskosten folgen.
Rechtliche Folgen
Ohne Reaktion kann der Abmahner einstweilige Verfügungen erwirken, die den Geschäftsbetrieb unmittelbar einschränken. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung verpflichtet zur Zahlung vertraglich festgelegter Vertragsstrafen im fünf- bis sechsstelligen Bereich bei erneuter Pflichtverletzung.
Rechte der Betroffenen
Verbraucher und anerkannte Verbände können bei den Marktüberwachungsbehörden ein Verfahren beantragen. Unterbleibt eine behördliche Entscheidung, steht der direkte Klageweg vor dem Verwaltungsgericht offen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Schlichtung nach § 16 BGG zur kostenfreien Beseitigung von Barrieren.
Ihr Ansprechpartner
Unternehmen, die von Abmahnungen oder Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit dem BFSG betroffen sind oder eine präventive Rechtsberatung wünschen, können sich jederzeit an unsere Kanzlei wenden. Wir überprüfen Ihre Produkte und digitalen Dienste auf Barrierefreiheit, vertreten Sie gegenüber Marktüberwachungsbehörden und Wettbewerbern und unterstützen Sie bei der Formulierung rechtssicherer Unterlassungserklärungen. Vertrauen Sie auf unsere Expertise im Wettbewerbs- und Verwaltungsrecht, um Risiken zu minimieren und Verfahren effizient zu begleiten.