Ein Beitrag von Michael Böhler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Konstanz
Sachverhalt
Der zur Tatzeit 19-jährige Angeklagte befand sich am Abend des 21. Juli 2019 gemeinsam mit mehreren Freunden auf dem Rückweg von einer Veranstaltung in der Südpfalz. Er lenkte einen hochmotorisierten Pkw auf der Bundesstraße B 44. Trotz widriger Witterungsverhältnisse – es herrschte Starkregen, die Fahrbahn war teilweise überflutet – entschloss sich der Angeklagte, sich ein inoffizielles Rennen mit einem anderen Fahrzeugführer zu liefern, der mit einem getunten Fahrzeug unterwegs war.
In mehreren WhatsApp-Nachrichten und im Vorfeld der Fahrt hatte der Angeklagte sich gegenüber Dritten bereits mehrfach als „Raser“ inszeniert und seine Fahrkünste hervorgehoben. Noch während der Fahrt kam es laut Zeugenaussagen zu mehreren riskanten Überholmanövern sowie abrupten Beschleunigungsvorgängen, wobei Geschwindigkeiten von über 150 km/h auf regennasser Fahrbahn erreicht wurden – deutlich über dem erlaubten Tempolimit von 100 km/h.
Kurz vor einer langgezogenen Linkskurve verlor der Angeklagte infolge von Aquaplaning die Kontrolle über das Fahrzeug, das daraufhin von der Fahrbahn abkam, einen Baum streifte und schließlich gegen einen weiteren prallte. Durch die enorme Wucht des Aufpralls wurde das Fahrzeug deformiert. Einer der Fondpassagiere – ein 17-jähriger Freund des Angeklagten – verstarb noch an der Unfallstelle. Zwei weitere Mitinsassen erlitten schwere innere Verletzungen und mussten notoperiert werden.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten daraufhin Totschlag (§ 212 StGB) in Tateinheit mit der Verursachung eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge (§ 315d Abs. 2, 3 StGB) sowie gefährlicher Körperverletzung vor. Das Landgericht Landau sah den bedingten Tötungsvorsatz als gegeben an und verhängte eine mehrjährige Jugendstrafe.
In der Revision rügte die Verteidigung insbesondere die unzureichende Begründung des subjektiven Tatbestands: Es sei nicht überzeugend dargelegt, dass der Angeklagte den Tod eines Mitfahrers als mögliche Folge billigend in Kauf genommen habe. Vielmehr könne lediglich bewusste Fahrlässigkeit vorliegen – vor allem im Lichte seines jugendlichen Leichtsinns und seiner mangelnden Reife.
Revisionsentscheidung
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil mit Beschluss vom 04.12.2024, Az. 4 StR 246/24 teilweise auf, soweit es die innere Tatseite betrifft, insbesondere den angenommenen bedingten Tötungsvorsatz. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Die Annahme eines bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Täter den tödlichen Erfolg als nicht fernliegend erkannt (Wissenselement) und ihn billigend in Kauf genommen oder sich damit abgefunden hat (Willenselement).
Ein bloßes Sichabfinden oder Fahrlässigkeit reicht hierfür nicht aus, zumal bei jugendtypischem Überschreiten von Grenzen im Straßenverkehr.
Bedeutung für die Praxis
Der BGH mahnt eine sorgfältige und differenzierte Prüfung des inneren Tatbestandsmerkmals an, gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden.
Besonders bei § 212 StGB in Kombination mit § 315d Abs. 2, 3 StGB muss zwischen Fahrlässigkeit, bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz sauber unterschieden werden.
Die Bewertung des Vorsatzes darf nicht allein aus dem objektiven Geschehensablauf abgeleitet werden (z. B. Tempo + Nässe führen nicht automatisch zu dolus eventualis).
Das Urteil betont die hohen Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung bei subjektiven Tatmerkmalen.
Praxistipps für Verteidigung und Nebenklage
Verteidigung:
- Bei jungen Beschuldigten und sog. „Raserdelikten“ lohnt es sich, gezielt gegen die Annahme von Vorsatz vorzugehen, v. a. unter Hinweis auf jugendliches Überschreiten sozialer Grenzen, fehlende Einsichtsfähigkeit und die Differenzierung von grober Fahrlässigkeit.
Nebenklage:
- Wichtig ist, die Beweisaufnahme auf subjektive Risikobereitschaft, verbale Aussagen vor dem Rennen, Fahrstil und Verhalten nach dem Unfall zu konzentrieren.
Fazit
Der Beschluss fügt sich in die Linie des Bundesgerichtshofs ein, in der Verkehrsdelikte mit Todesfolge differenziert nach Vorsatz und Fahrlässigkeit abgegrenzt werden müssen. Gerade im Zusammenhang mit § 315d StGB bleibt der subjektive Tatbestand weiterhin umstritten und auslegungsbedürftig.
Als erfahrener und bundesweit tätiger Fachanwalt für Verkehrsrecht vertrete ich gerne Ihre Interessen!