Die Kursgewinne an europäischen Börsen sind erstmals seit Jahren größer als in den Vereinigten Staaten. Milliardenkapital ist aus den USA abgeflossen, vor allem der DAX hat profitiert. Hat sich der Geldstrom dauerhaft gedreht?
Europas Börsen haben sich im ersten Halbjahr deutlich stärker entwickelt als die US-Märkte. Einen Grund für die offensichtliche Kapitalflucht sehen Marktbeobachter in der Politik des US-Präsidenten Donald Trump. Aufgrund seiner Zolldrohungen und erratischen Kurswechsel haben die dortigen Anleger nach Angaben von Investment-Managern und Ökonomen hohe Milliardenbeträge von den US-Märkten abgezogen und nach Europa verlagert.
BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels geht davon aus, dass die Verunsicherung durch die US-Politik und schwindendes Vertrauen in die Vereinigten Staaten eine große Rolle für diese Entwicklung gespielt haben dürften. So gab es im einen auffällig starken Netto-Mittelabfluss aus allen US-Fonds im April – nachdem Trump seinen „Liberation Day“ verkündet und die größten US-Zollerhöhungen seit den Tagen der Weltwirtschaftskrise 1930 angekündigt hatte.
DAX-Performance deutlich besser
Damit haben die internationalen Geldströme zumindest vorerst die Richtung gewechselt. Denn in den Vorjahren flossen stets immense Summen in die USA. Europäische Hauptgewinner sind die Börsen in Deutschland, Spanien und Italien mit jeweils zweistelligen Kursgewinnen. Der DAX hat seit Jahresbeginn trotz der jüngsten Einbußen um etwa 17 Prozent zugelegt.
Die US-Aktienmärkte hingegen verzeichneten nur magere Anstiege beziehungsweise traten bisher auf der Stelle. So hat beispielsweise der US-Leitindex Dow Jones seit Jahresbeginn rund 0,5 Prozent verloren. Der Technologieindex Nasdaq 100 legte im selben Zeitraum immerhin noch mehr als drei Prozent zu.
„Deutliche Bewegung von Investorengeldern“
„Zahlreiche Indizien deuten auf eine deutliche Bewegung von Investorengeldern aus den USA in Richtung Europa, aber auch in andere Regionen wie Japan hin“, sagt Ludovic Subran, bei der Münchner Allianz als Chief Investment Officer der Hauptverantwortliche für die Geldanlagen. Der Münchner DAX-Konzern zählt mit knapp 2,5 Billionen Euro angelegten Kapitals zu den internationalen Größen der Branche.
Zuvor war über Jahre viel Geld aus aller Welt an die US-Finanzmärkte geströmt. Eine Folge ist, dass Aktien in den USA gemessen an den Unternehmensgewinnen teuer sind, in Europa jedoch vergleichsweise günstig. „Kumuliert wird die Nettoposition an Portfolioinvestitionen in die USA per Ende 2024 mit rund 17 Billionen Dollar beziffert“, sagt Vincenzo Vedda, Global Chief Investment Officer bei DWS, dem Vermögensverwalter der Deutschen Bank. Auch die DWS ist mit gut einer Billion verwaltetem Vermögen ein Schwergewicht.
Investoren bauen das US-Übergewicht ab
„Dies hat sich jetzt geändert“, sagt Vedda. „Aus einer kräftigen Übergewichtung der USA durch die Fondsmanager noch zum Jahresende 2024 ist so eine deutliche Untergewichtung geworden.“ Der DWS-Experte nennt zwei Trends: „Erstens, die Wiederentdeckung Europas und seiner Aktien. Das Interesse kam dabei sowohl aus Asien wie auch den USA, aber auch die Europäer selbst haben ihren ‚Heimatmarkt‘ wiederentdeckt.“
Zweitens verspürten Vedda zufolge etliche Anleger den Drang, „das US-Exposure zu reduzieren und stärker zu diversifizieren“. Wesentlicher Treiber sei neben der politischen Entwicklung und dem Umstand, dass etliche Investoren zuvor ein sehr großes Übergewicht in den USA aufgebaut hatten, auch die Sorge wegen einer möglichen weiteren Dollar-Abschwächung.
Staatsverschuldung steigt rasant
Auch angesichts der rasant steigenden US-Verschuldung sind die Marktakteure besorgt. Denn die Verbindlichkeiten der Vereinigten Staaten haben sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt: von 18,1 Billionen Dollar im Herbst 2015 auf 35,4 Billionen im Herbst 2024, wie Daten des US-Finanzministeriums zu entnehmen ist. Trump trieb schon in seiner ersten Amtszeit trotz damals noch gut laufender US-Konjunktur die Verschuldung in die Höhe, Nachfolger Joe Biden bekämpfte die Corona-Pandemie mit Krediten.
„Nichtsdestotrotz wird der US-Dollar mittelfristig weiterhin die dominierende Währung bleiben und US-Anlagen das Rückgrat der globalen Finanzwelt bleiben, nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen“, sagt Ludovic Subran von der Allianz.
Der Trend könnte sich auch in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen, so die übereinstimmende Einschätzung, wenn auch in geringerem Umfang. „Wir denken, dass der Drang internationaler Investoren, ihre Portfolien etwas weniger US-lastig auszurichten, anhalten dürfte“, meint DWS-Chefinvestor Vedda.