#Gastbeitrag
Wer heute in Software für die Fertigungsindustrie investiert oder gründet, kann ein riesiges Potenzial erschließen – sofern man bereit ist, sich auf die Besonderheiten des Sektors einzulassen. Ein Gastbeitrag von Videesha Böckle.

Die industrielle Transformation Europas beginnt nicht bei Großkonzernen – sondern im Mittelstand. Gemeinsam mit Fortino Capital hat unser Team von altitude die 50 vielversprechendsten Startups im Bereich “SME Manufacturing Tech” im DACH-Raum identifiziert. Die Ergebnisse zeigen: Wer heute in Software für die Fertigungsindustrie investiert oder gründet, kann ein riesiges Potenzial erschließen – sofern man bereit ist, sich auf die Besonderheiten des Sektors einzulassen.
Eine unterschätzte Chance – mit grundlegender ökonomischer Bedeutung
Mittelständische Unternehmen sind nicht nur das wirtschaftliche Rückgrat Europas, sondern auch eine oft unterschätzte Plattform für technologische Innovation. In Deutschland allein zählen 99,4 % aller Unternehmen zu den kleineren und mittleren Betrieben, die rund 55 % aller Arbeitskräfte beschäftigen. Trotz dieser Größe ist die Digitalisierung in vielen Bereichen kaum fortgeschritten, was enorme Chancen für Softwarelösungen eröffnet – insbesondere im produzierende Gewerbe
Die Analyse der “SME Manufacturing Tech DACH 50” zeigt unter anderem folgende Aspekte:
- Zwei Drittel der ausgewählten Startups wurden seit 2020 gegründet – ein Zeichen für frische Ideen und Technologien, die zeitnah bereit für Wachstum und Skalierung sind.
- Gemeinsam beschäftigen diese Jungunternehmen bereits über 3.000 Mitarbeitende.
- Die Top 50 Unternehmen haben bislang €922 Millionen an Risikokapital aufgenommen, mit einem durchschnittlichen Investment-Volumen pro Startup von €18,4 Millionen (Median = €13,25 Millionen).
- Die meisten Startups befinden sich noch in der Seed- oder Series-A-Phase – ein attraktiver Zeitpunkt für Early-Stage-Investoren.
Wo das industrielle Rückgrat auf moderne Software trifft
Was viele nicht wissen: Der Großteil der ausgewählten Startups ist software-first, mit klarem Fokus auf industrielle Effizienz. Besonders stark vertreten sind Technologien für:
- Manufacturing Execution Systems (MES)
- Qualitätssicherung
- KI-gestützte Predictive Maintenance
Hinzu kommen aufstrebende Themen wie Digital Twins, Smart Factory Automation, Industrial IoT, Edge Computing und Robotics – alles Technologien, die teilweise gerade erst beginnen, den industriellen Mittelstand zu durchdringen.
Geografisch betrachtet zeigt sich: Deutschland dominiert mit 42 der 50 Startups, gefolgt von der Schweiz (5) und Österreich (3). Die Gründer:innen bringen häufig eine exzellente technische und akademische Ausbildung (u.a. TU München, KIT – Karlsruhe Institute of Technology) und Industrieerfahrung bei OEMs oder Mittelständlern mit – ein starkes Fundament für produktnahe Innovation basierend auf Praxiswissen aus erster Hand.
Warum Kunden noch zögern – und wie man sie überzeugt
Trotz des technologischen Fortschritts bleibt die Adoption in der mittelständischen Industrie mühsam. Die Gründe dafür:
- Komplexe Abläufe und Prozesse, die schwer zu digitalisieren sind
- Wenig interne IT-Kompetenz, um Softwarelösungen zu implementieren
- Skepsis gegenüber Black-Box-Lösungen, insbesondere bei KI
- Angst vor Produktionsausfällen, die durch ungetestete Systeme entstehen könnten
Der Vertriebsprozess in dieser Branche ist zudem alles andere als linear: Viele Projekte scheitern nicht am Produkt, sondern an mangelnder interner Abstimmung – oft muss der digitale Wandel von unten angestoßen und nach oben verkauft werden.
Go-to-Market (GTM) als Erfolgsfaktor – nicht nur Produktqualität zählt
Gerade für Startups gilt: Wer ein skalierbares Technologieunternehmen mit industriellen Mittelständlern als Zielgruppe aufbauen möchte, muss auch den eigenen Vertrieb als Produkt denken. Erfolgreiche Gründer:innen der SME Manufacturing Tech DACH 50 haben dabei eines gemeinsam:
- Sie investieren früh in die Validierung ihres Ideal Customer Profile (ICP) und vermeiden “fake product market fit”
- Sie testen Hypothesen durch “Shadowing” in der Produktion, intensive Use-Case-Validierung und regelmäßige Feedback-Schleifen
- Sie entwickeln nicht nur horizontale Lösungen, sondern fokussieren sich auf hochrelevante Nischen (“vertical SaaS”)
- Sie bauen Kundennähe und Vertrauen auf – durch Präsenz auf Messen, persönliche Gespräche und ein tiefes Verständnis industrieller Abläufe
Insbesondere der letzte Punkt ist nicht zu unterschätzen: In traditionellen Industrien wird Vertrauen nicht über Slide Decks, sondern durch Vereinbarungen per Handschlag und belastbare Partnerschaften aufgebaut. Entscheidend ist nicht nur, was ein Software-Produkt kann, sondern dass es bei Werksleitern, Schichtführern und Digitalverantwortlichen gleichermaßen landen und eingeführt werden kann.
Was der Status Quo für Investoren bedeutet
Für Risikokapitalgeber – und deren Limited Partner (LPs) – eröffnet sich eine große Chance für Investitionen in Technologien, die das Rückgrat der Wirtschaft in der DACH-Region stärken:
- Ein Markt, der tief verwurzelt, aber technologisch unterversorgt ist
- Frühphasige Startups mit großem Kapitalbedarf und klaren Wachstumspfaden
- Themen wie KI, Automatisierung und IIoT, die auch regulatorisch Rückenwind bekommen
- Ein Ökosystem, das zunehmend Gründer:innen mit Industrie-Background hervorbringt
Zusätzlich zu Kapital können – und müssen – Venture-Capital-Investoren und LPs echten Mehrwert stiften, etwa durch GTM-Support, Netzwerk-Zugang und operative Exzellenz.
Fazit: Der ideale Zeitpunkt, um industrielle Zukunft zu gestalten
Die digitale Transformation der europäischen Fertigung, insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, steht immer noch erst am Anfang. Mit unserer Startup-Auswahl der SME Manufacturing Tech DACH 50 möchten wir Gründer:innen, Investor:innen und Industriepartnern Mut machen: Die Voraussetzungen sind da für tiefgreifende Veränderungen, neue Marktführer und nachhaltige Innovation. Auch wenn es fundiertes Branchenverständnis und Ausdauer bei der Kunden- und Produktentwicklung benötigt – jetzt ist der Moment, um zu investieren und zu gründen, um die Zukunft des produzierenden Mittelstands aktiv mitzugestalten.
Über die Autorin
Videesha Böckle ist General Partner bei altitude.
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