Der Abschluss eines Darlehensvertrags, beispielsweise für eine Autofinanzierung, ist eine alltägliche Situation. Doch was geschieht, wenn sich später herausstellt, dass im Vertrag wichtige Informationen fehlen oder fehlerhaft sind? Lange Zeit bestand in solchen Fällen für Verbraucher oft die Möglichkeit, ihren Darlehensvertrag auch Jahre nach Vertragsschluss noch zu widerrufen. Aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) haben hier jedoch für einige Änderungen gesorgt. Dieser Rechtstipp beleuchtet die aktuelle Rechtslage.
Das Widerrufsrecht: Eine zweite Chance bei Verbraucherkrediten
Bei Verbraucherdarlehensverträgen haben Verbraucher ein gesetzliches Widerrufsrecht. Dies ermöglicht es, die Vertragserklärung innerhalb einer bestimmten Frist ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Die reguläre Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt jedoch erst zu laufen, wenn der Darlehensgeber ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hat und alle notwendigen Pflichtangaben im Vertrag enthalten sind. Fehlten diese Informationen oder waren sie fehlerhaft, konnte sich die Widerrufsfrist erheblich verlängern – oft war vom „ewigen Widerrufsrecht“ die Rede.
Was hat sich durch neue Urteile geändert? Die „Relevanz“ des Fehlers zählt!
Ein entscheidendes Urteil des EuGH (Rechtssache BMW Bank, Urteil vom 21.12.2023) hat die bisherige Rechtsprechung präzisiert. Der BGH hat diese Vorgaben in nachfolgenden Entscheidungen für deutsches Recht umgesetzt (z.B. BGH, Urteil v. 27.2.2024, Az. XI ZR 51/23). Die wichtigste Neuerung: Nicht jede Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Pflichtangabe führt automatisch dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt.
Entscheidend ist nun, ob der Fehler geeignet war, die Fähigkeit des Verbrauchers zu beeinträchtigen, den Umfang seiner Rechte und Pflichten einzuschätzen oder seine Entscheidung zum Vertragsschluss zu beeinflussen. Einfach gesagt: Nur relevante Fehler sind ausschlaggebend.
Typische Fehlerquellen und ihre heutige Bedeutung:
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Die „Kaskadenverweisung“: Lange Zeit ein häufiger Streitpunkt war der Verweis in der Widerrufsinformation auf eine Vielzahl von Paragrafen (§ 492 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB), um die Pflichtangaben zu benennen. Der EuGH und ihm folgend der BGH sehen eine solche „Kaskadenverweisung“ nun nicht mehr per se als derart schwerwiegend an, dass sie den Fristbeginn hindert. Die Begründung: Verbraucher werden dadurch nicht irregeführt, da die Information nicht falsch ist, sondern lediglich unvollständig, weil nicht alle Pflichtangaben direkt im Vertragstext aufgelistet sind.
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Fehlende Angabe des konkreten Verzugszinssatzes: Auch die fehlende Angabe des bei Vertragsschluss geltenden konkreten Verzugszinssatzes oder die Art seiner Anpassung hindert das Anlaufen der Widerrufsfrist in der Regel nicht mehr. Man geht davon aus, dass diese Angabe für den Vertragsschluss nicht maßgeblich ist, da Verbraucher von einer vertragsgemäßen Zahlung ohne Verzug ausgehen.
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Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsinformation: Verwendet eine Bank die gesetzliche Muster-Widerrufsinformation korrekt, gilt diese grundsätzlich als ordnungsgemäß (Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB). Der BGH hält an dieser Rechtsprechung fest, auch wenn der EuGH sie kritisch sieht, da eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut des deutschen Gesetzes (contra legem) nicht zulässig sei.
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Angaben zur Vorfälligkeitsentschädigung: Die Information über die Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung (Kosten bei vorzeitiger Kreditablösung) muss es dem Verbraucher ermöglichen, den Betrag leicht zu ermitteln, den er „höchstens“ zu zahlen hätte. Die Angabe der gesetzlichen Kappungsgrenzen (gemäß § 502 Abs. 3 BGB) ist hierfür in der Regel ausreichend.
Wann ist ein Widerruf auch nach Jahren noch möglich?
Trotz der neueren Rechtsprechung ist ein Widerruf nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn wesentliche Fehler vorliegen, die die oben genannten Kriterien der „Relevanz“ erfüllen. Dies muss jedoch in jedem Einzelfall genau geprüft werden.
Grenzen des Widerrufsrechts: Erfüllung und Rechtsmissbrauch
Wichtig ist auch eine weitere Klarstellung durch den EuGH: Ist der Darlehensvertrag beidseitig vollständig erfüllt (also das Darlehen komplett zurückgezahlt), erlischt das Widerrufsrecht. Dies gilt auch, wenn die Schlussrate durch ein Anschlussdarlehen abgelöst wurde und das Erstdarlehen damit getilgt ist. Die Frage, ob bei einem noch laufenden Vertrag ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Verbrauchers eingewendet werden kann, ist komplexer geworden, da viele Aspekte nun unter der „Relevanz“ des Fehlers geprüft werden.
Folgen eines erfolgreichen Widerrufs
Ist der Widerruf wirksam, wird der Vertrag rückabgewickelt. Das bedeutet in der Regel:
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Das erhaltene Darlehen (bzw. der Wert des finanzierten Gegenstands, z.B. das Auto) muss zurückgegeben werden.
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Die Bank muss die bereits gezahlten Raten (Zins und Tilgung) erstatten.
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Für die Nutzung des Darlehens kann die Bank Zinsen verlangen; für die Nutzung des finanzierten Gegenstands kann unter Umständen Wertersatz anfallen. Die genauen Rechtsfolgen richten sich nach nationalem Recht.
Was können Kreditnehmer tun?
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Vertrag prüfen: Es empfiehlt sich, den Darlehensvertrag und die Widerrufsinformation genau anzusehen. Sind alle Pflichtangaben gemacht worden? Ist die Widerrufsbelehrung verständlich?
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Vorsicht bei alten Verträgen: Insbesondere bei Verträgen, die vor den jüngsten Klarstellungen durch EuGH und BGH abgeschlossen wurden, könnte eine Überprüfung sinnvoll sein.
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Zeitpunkt des Widerrufs: Zu beachten ist, dass nach vollständiger Erfüllung des Vertrags ein Widerruf ausgeschlossen ist.
Wann ist anwaltliche Beratung sinnvoll?
Die Rechtslage zum Widerruf von Verbraucherdarlehen ist komplex und stark von den Details des Einzelfalls sowie der aktuellen Rechtsprechung geprägt. Bei Zweifeln an der Korrektheit eines Darlehensvertrags oder bei Überlegungen zu einem Widerruf ist eine anwaltliche Beratung dringend zu empfehlen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann den Vertrag prüfen und die Erfolgsaussichten einschätzen.
Bei Fragen zu Darlehensverträgen und anderen bankenrechtlichen Themen steht beispielsweise Frau Rechtsanwältin Jasmin Fuhr mir ihrer Expertise zur Verfügung und ist bei der Lösung von Problemen behilflich.