Die Ökonomin Veronika Grimm hält die Pflegeversicherung in der jetzigen Struktur nicht für dauerhaft finanzierbar. Es müssten Abstriche gemacht werden und dabei müsse auch hingenommen werden, dass nicht in jedem Bereich Fairness und Gerechtigkeit herrsche.
Die Finanzprobleme der Pflegeversicherung drohen sich nach Einschätzung der Kranken- und Pflegekasse DAK-Gesundheit weiter zu verschärfen. Nach der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden DAK-Berechnungen steuert die Pflegeversicherung in diesem Jahr auf ein Defizit von 1,65 Milliarden Euro zu.
2026 werde sich das Milliardenloch voraussichtlich auf 3,5 Milliarden Euro vergrößern. Ohne neue Finanzmittel sei spätestens zum Jahreswechsel 2026 eine Beitragserhöhung um mindestens 0,3 Beitragssatzpunkte unvermeidlich, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Für ein Kassenmitglied beispielsweise mit einem Kind werden heute 3,6 Prozent des Bruttoeinkommens fällig.
In ihrer Prognose sieht die Hamburger Versicherung die Pflegefinanzen heute noch etwas kritischer als der GKV-Spitzenverband vor einigen Wochen. Der Verband hatte die Prognose eines Defizits von rund einer halben Milliarde Euro öffentlich gemacht. Im Laufe des Jahres dürften wohl weitere Pflegekassen auf kurzfristige Unterstützung zur Sicherung ihrer Liquidität angewiesen sein, so Verbandschefin Doris Pfeiffer im März.
Bereits im vergangenen Jahr war die Pflegeversicherung mit 1,54 Milliarden Euro ins Minus gesackt. Zur finanziellen Stabilisierung wurde die Pflegebeiträge zu Jahresbeginn um 0,2 Prozentpunkte angehoben.
Kassen fordern von Politik Beitragsdämpfung
Storm forderte Schritte zur Vermeidung von Beitragssatzerhöhungen. Bei seiner Forderungen nach Strukturreformen sieht sich der Kassenchef einig mit einer in einer Umfrage ermittelten Bevölkerungsmehrheit: Laut einem neuen DAK-Pflegereport sehen fast 80 Prozent der Bundesbürger einen grundlegenden Reformbedarf in der Altenpflege.
Bereits der Kranken- und Pflegekassen-Verband hatte verlangt, dass der Bund die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige übernimmt und den Pflegekassen Ausgaben aus der Corona-Krise erstattet. Entsprechend äußerte sich nun auch Storm.
Der neue Pflegereport zeigt anhand weiterer Studienergebnisse auf, was auf die Pflegeversicherung zukommt: Von heute etwa 5,6 Millionen Menschen, die Leistungen aus der staatlichen Pflegeversicherung erhalten, dürfte sich die Zahl der Gepflegten in den nächsten beiden Jahrzehnten um über ein Fünftel erhöhen. 2055 – so offizielle Prognosen – sollen es zwischen 6,8 Millionen und 7,6 Millionen sein.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm fordert daher laut einem Medienbericht Leistungskürzungen der gesetzlichen Pflegeversicherung und eine deutlich höhere finanzielle Selbstbeteiligung der Pflegepatienten.
„Die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen zu stark. Das wird nicht durchhaltbar sein“, sagte Grimm der Zeitung „Bild“ laut einem Vorabbericht. Man müsse die Ausgestaltung dieser Versicherung wahrscheinlich anpassen: „Also weniger Leistungen, die dann mit realistischen Beiträgen gezahlt werden müssen.“
Grimm sprach sich laut dem Vorabbericht auch für Bedürftigkeitsprüfungen bei sozial Schwächeren aus. „Der Bezug von Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen sollte schon an der Prüfung der Bedürftigkeit des Haushalts festgemacht werden und nicht an der Einkommenssituation des Einzelnen“. Man könne nicht in jedem einzelnen Bereich Fairness und Gleichheit herstellen, sondern müsse dafür sorgen, dass das soziale Sicherungssystem auch halte und stabil sei.
rtr/fhs