Trotz wirtschaftlicher Abkühlung bleibt der Mangel an Mint-Fachkräften in Deutschland enorm. Vor allem in einem Bundesland ist die Lage dünn, wie eine Studie jetzt zeigt – und in einem Segment fehlen besonders viele Fachkräfte. Ein Blick auf die Daten.
Industriearbeiter, IT-Spezialisten, Ingenieure: In fast allen der sogenannten Mint-Fächer – die Abkürzung steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – fehlt in Deutschland passendes Personal. Schon lange warnen Experten vor dramatischen Folgen für die Wirtschaft. Neue Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die WELT vorab vorlagen, zeigen, wie groß der Bedarf gerade wirklich ist.
Konkret sieht es so aus: 387.100 Mint-Stellen sind laut der Bundesagentur für Arbeit momentan unbesetzt, passende Fachkräfte gibt es aber nur knapp 249.000. Und weil diese auch zu den Angeboten passen müssen, liegt das Defizit laut den IW-Berechnungen ingesamt bei 163.600 Arbeitnehmern, die fehlen. „Die Mint-Fachkräftelücke bleibt trotz konjunktureller Abkühlung hoch“, heißt es von dem Institut dazu. Das bedeutet zwar: Verglichen mit den Werten von vor einem Jahr gibt es statistisch einen Rückgang des Mangels um 30 Prozent.
Aber dieser liegt laut IW vor allem daran, dass viele Industrie-Unternehmen einfach weniger Stellen ausschreiben, obwohl in einer wirtschaftlich besseren Phase eigentlich Bedarf bestünde. Zuletzt war das etwa während der Corona-Krise zwischen 2020 und 2021 der Fall – kurz danach erreichte der Mangel wieder Rekordwerte.
Ein Blick auf die Daten zeigt: Unter Deutschlands Regionen – teilweise wurden Bundesländer für die Betrachtung zusammengefasst – ist Bayern das Schlusslicht. Und zwar insbesondere im Bereich der Mint-Ausbildungsberufe.
39.300 offene Stellen gibt es im Freistaat für dieses Qualifikationsniveau, jedoch nur etwas mehr als 18.300 Bewerber. Damit deckt das Personal, das dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, hier gerade einmal 47 Prozent der verfügbaren Stellen ab.
Wenig besser sieht es auf höherem Qualifikationsniveau aus. 10.064 Akademiker könnten in Bayern noch in Mint-Berufen beschäftigt werden, dem Markt fehlen allerdings 23.400 der hoch qualifizierten Arbeitnehmer. Gerade einmal 48 Prozent aller Mint-Berufe ließen sich mit dem im Bundesland zur Verfügung stehenden Personal besetzen.
Das Münchener Ifo-Institut beschäftigte sich bereits im vergangenen Jahr mit dem süddeutschen Bundesland. Die Experten dort machen rückblickend auf das Jahr 2022 vor allem den Umgang mit ausländischen Arbeitskräften für den Mangel verantwortlich: „Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen sollte schneller, transparenter, planbarer und berechenbarer gestaltet werden“, hieß es damals in einem Bericht. Ein weiterer Grund könnte auch die wirtschaftliche Stärke des Bundeslandes selbst sein – eine erhöhte Nachfrage trifft auf einen lokalen Arbeitsmarkt, der den Bedarf nicht decken kann.
Viel besser scheint die Lage hingegen in der Region Berlin und Brandenburg zu sein, die das IW zusammengefasst betrachtet. Hier könnten laut dem Mint-Report immerhin 86 Prozent der Stellen aus diesem Bereich mit geeigneten Fachkräften besetzt werden.
Unter Mint-Experten mit Meistertitel sind die Jobs in und um Berlin besonders umkämpft: Auf 5178 „Spezialisten“ ohne Anstellung kommen nur 3700 passende Stellen. Rechnet man die Lage in allen Bundesländern zusammen, reichen die dem Jobmarkt zur Verfügung stehenden Mint-Arbeitskräfte mit Meistertitel aus, um 82 Prozent der Stellen zu besetzen.
Unter allen Qualifikationsniveaus liegt der Wert nur bei 64 Prozent. Wie hoch der Prozentsatz insgesamt in den einzelnen (teils zusammengefassten) Bundesländern ist, zeigt die Karte.
Warum diese Zahlen für die Wirtschaft so alarmierend sind? „Ohne gezielte Maßnahmen drohen zentrale Zukunftsprojekte wie Digitalisierung, Klimaschutz und Verteidigung ins Stocken zu geraten“, heißt es vom IW.
Entsprechend werden nicht nur Mint-Beschäftigte allgemein gesucht, sondern gerade Fachexperten für bestimmte Bereiche. Das bedeutet auch: Nicht alle, die ein Studium in einem der klassischen Themenbereiche haben, dürften für den Arbeitsmarkt gleichermaßen hilfreich sein.
Wo die Personal-Nachfrage in den vergangenen Jahren besonders groß war, zeigt außerdem diese Bilanz: Die Zahl der „fachlich ausgerichteten IT-Berufe“ stieg von 101.048 Beschäftigten im Jahr 2012 auf 188.438 im Jahr 2024, wie das IW angibt. Das Beschäftigungs-Plus liegt hier damit bei 86,5 Prozent.
Spezialistenberufe in der chemischen Industrie hingegen nahmen im Zwölf-Jahres-Vergleich um 18,9 Prozent ab. Insgesamt gilt aber: „Es ist davon auszugehen, dass eine hohe Nachfrage nach Mint-Kräften bestehen bleibt“, so die IW-Experten.
Abnehmendes Interesse an Mint-Fächern
Das liege etwa daran, dass viele Beschäftigte vor dem Renteneintrittsalter stünden – und Großprojekte wie die Klima-Transformation steigenden Personalbedarf verursachen könnten. Davon gehen laut IW zumindest 44 Prozent der Unternehmen aus.
Gerade für Akademiker sind die Chancen übrigens gut. Im Bundesschnitt können mit ihnen nur 55 Prozent der verfügbaren Stellen besetzt werden. In der Region Sachsen-Anhalt/Thüringen sogar nur 41 Prozent.
Gerade Zuwanderung von Ausländern – ob an Unis oder direkt auf den Arbeitsmarkt – trug laut IW dazu bei, das Defizit in den vergangenen Jahren auszugleichen. Deutsche Studenten hingegen zeigten in den vergangenen Jahren auch ein abnehmendes Interesse an einigen Mint-Fächern, wie WELT kürzlich berichtete.
Nach Bereichen aufgeteilt zeigt sich der größte Mangel übrigens im Segment Energie- und Elektroberufe, wo 57.800 Fachkräfte fehlen – und damit 17.900 mehr als im Vorjahr. Im Bereich Maschinen- und Fahrzeugtechnik liegt der Bedarf trotz Sparprogrammen in der Autoindustrie bei 32.400 Fachkräften, ein Plus von 12.600 gegenüber 2024. Auch die Baubranche braucht passende Arbeitskräfte, hier fehlen noch 26.100. Es folgen Jobs in der Metallverarbeitung und IT.
Immerhin: Wer sich für einen Mint-Beruf entscheidet, hat wegen des großen Mangels auch überdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten. Lag der Bruttolohn der beschäftigten 25- bis 44-Jährigen in der Gesamtbevölkerung bei 3810 Euro pro Monat, wie das IW ausrechnet, waren es in Mint-Berufen immerhin 4486 Euro.
Felix Seifert ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Innovation. Er schreibt unter anderem über die Themen Karriere, Verbraucher, Mittelstand und Immobilien.