Stand: 20. Mai 2025
Ein Sturz direkt nach einer Vollnarkose gilt als vermeidbar, wenn Vitalwerte, Lagerung und Begleitgang nicht lückenlos überwacht wurden. Verstöße gegen die „Empfehlung zur Überwachung nach Anästhesieverfahren“ der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) lassen die Beweislast auf das Krankenhaus übergehen – Schmerzensgeld, Reha-Kosten und Haushaltsführungsschaden müssen dann in voller Höhe ersetzt werden.
Postoperative Überwachung – warum jede Minute zählt
Nach einer Vollnarkose bleiben Kreislauf, Gleichgewicht und Orientierung für mehrere Stunden instabil. Die DGAI verlangt deshalb eine engmaschige Kontrolle von Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Bewusstseinslage sowie eine Begleitung beim ersten Aufstehen.
Wird diese Standardüberwachung vernachlässigt, drohen Blutdruckabfall, Schwindel und letztlich ein Sturz – ein Ereignis, das durch klare Organisationsabläufe vollständig beherrschbar wäre.
Praxisbeispiel: So kam es zur Komplikation
Ein 67-jähriger Münchner ließ sich arthroskopisch am Knie operieren. Drei Stunden nach dem Eingriff notierte die Pflegekraft im Aufwachprotokoll: „Patient wach, möchte zur Toilette.“ Obwohl Blutdruck und Puls noch schwankten und zwei Infusionsleitungen hingen, durfte er allein aufstehen.
Schon im Türrahmen verlor er das Gleichgewicht, stürzte auf die rechte Hüfte und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Die anschließende Revisionsoperation, fünf Wochen Klinik und drei Monate Reha verzögerten seine Rückkehr in den Beruf erheblich.
Medizinischer Standard nach der DGAI-Empfehlung
Die Fachempfehlung schreibt vor, das reale Körpergewicht, aktuelle Vitalwerte und Kreislaufstabilität zu prüfen, bevor Patienten erstmals mobilisiert werden. Das erste Aufstehen muss von Pflegepersonal begleitet sein, ein Bettalarm soll auslösen, wenn der Patient dennoch versucht aufzustehen.
In der Krankenhausakte unseres Mandanten fehlten aktuelle Vitalzeichenprotokolle, eine Begleitperson ist nicht dokumentiert, ein Alarmsystem war nicht installiert. Der Standard wurde eindeutig verfehlt.
Juristische Bewertung: grober Behandlungsfehler und Beweislastumkehr
Ein außergerichtlich beauftragter Anästhesie-Sachverständiger stufte das Versäumnis als groben Organisationsfehler ein. Bei solchen Fehlern kehrt sich die Beweislast (§ 630h BGB) um: Nicht der Patient, sondern die Klinik muss nachweisen, dass der Hüftbruch trotz korrekter Überwachung unvermeidbar gewesen wäre – ein kaum haltbarer Standpunkt.
Die Haftpflichtversicherung erkannte deshalb die Haftung an und verhandelte einen Vergleich.
Welche Kosten die Klinik ersetzen muss
Das Schmerzensgeld betrug 45 000 Euro, hinzu kamen Heilkosten für die Revisionsoperation, stationäre Reha, Fahrdienste und eine vierteljährliche Pauschale für Physiotherapie sowie Hilfsmittel.
Außerdem erkannte die Versicherung einen Haushaltsführungsschaden an, da der Patient seinen Haushalt nur noch eingeschränkt versorgen kann. Ohne strukturierte Belegsammlung wären mehrere Posten gekürzt worden.
Ihr nächster Schritt – Ansprüche wahren, Fristen stoppen
Fordern Sie binnen einer Woche die vollständige Anästhesie- und Pflegeakte an, insbesondere Vitalzeichenprotokolle, Lagerungsberichte und Dienstpläne. Dokumentieren Sie den Sturzverlauf schriftlich und bewahren Sie alle Belege über Reha, Taxifahrten, Hilfsmittel oder Verdienstausfall auf.
Mit dieser Dokumentation kann Ihr Patientenanwalt aus München sämtliche Schadenspositionen beziffern, fehlende Gutachten veranlassen und die dreijährige Verjährungsfrist aus §§ 195, 199 BGB hemmen.
Jede zeitnahe Maßnahme stärkt Ihre Beweislage und erhöht die Chance auf eine Entschädigung, die den tatsächlichen Schaden voll abbildet.
Autor: Christoph Theodor Freihöfer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Inhaber der Kanzlei Freihöfer – Ihr Patientenanwalt