Die Bundesregierung aus SPD und CDU/CSU in Berlin plant einen signifikanten Einschnitt in den deutschen Zahlungsverkehr: Händler:innen sollen künftig verpflichtet werden, neben Bargeld mindestens eine digitale Bezahloption anzubieten. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, ist diese Maßnahme Teil des aktuellen Koalitionsvertrags.
Ziel sei es, so der SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND), „in bargeldintensiven Bereichen wie beispielsweise der Gastronomie den Steuerbetrug zu bekämpfen und so die vielen steuerehrlichen Unternehmer zu schützen“. Ein genauer Zeitplan für die Einführung dieser Pflicht steht allerdings noch nicht fest; der Koalitionsvertrag spricht von einer „schrittweisen“ Umsetzung.
Aufschrei im Handel: Kosten, Aufwand und offene Fragen
Die Pläne stoßen auf ein geteiltes Echo. Während der Digitalverband Bitkom aus Berlin die Initiative begrüßt und auf die steigende Akzeptanz und den Wunsch der Verbraucher:innen nach digitalen Bezahlmöglichkeiten verweist – laut einer Bitkom-Umfrage nutzen bereits 98 Prozent der Deutschen digitale Zahlungsformen und zwei Drittel wünschen sich eine entsprechende Akzeptanzpflicht –, sind traditionelle Handelsverbände und insbesondere Vertreter:innen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) alarmiert.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) aus Berlin gibt zu bedenken, dass die meisten Händler:innen bereits vielfältige Bezahloptionen anbieten würden und zusätzliche Kosten gerade für margenschwache Unternehmen ein Problem darstellen könnten. Der Verband fordert daher eine Deckelung der Kosten für Kartenzahlungen, wie die Lebensmittelpraxis meldet. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA Bundesverband) mit Sitz in Berlin äußert sich kritisch und fordert Ausnahmen für Klein- und Kleinstbetriebe, da eine pauschale Pflicht eine „unverhältnismäßige Belastung“ darstelle und die technische Infrastruktur, etwa eine stabile Internetverbindung, nicht überall gewährleistet sei.
So könnten für ein einfaches Kartenterminal monatliche Mietkosten von rund 30 Euro anfallen. Hinzu kommen Transaktionsgebühren, die laut Bezahlexperten für EC-Karten bei etwa 0,25 Prozent beginnen, aber durch versteckte Kosten für Software-Updates oder Kündigungsgebühren ergänzt werden können. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks mit Sitz in Berlin pocht weiterhin auf Bargeld und fordert sogar eine gesetzliche Begrenzung der Gebühren für das Bargeldhandling durch Banken.
Bonpflicht ade, Registrierkasse olé?
Pikant wird die Debatte auch durch zwei weitere geplante Änderungen: Die umstrittene Bonpflicht, die 2020 zur Bekämpfung von Steuerbetrug eingeführt wurde, soll wieder abgeschafft werden. Dies begrüßt der HDE, da sie mehr Bürokratie als Nutzen gebracht habe.
Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) aus Berlin sieht dies jedoch kritisch und bewertet die Bonpflicht als Erfolg. Parallel dazu ist geplant, ab 2027 eine Pflicht zur Nutzung elektronischer Registrierkassen für Geschäfte mit einem Jahresumsatz von über 100.000 Euro einzuführen.
Dies deutet auf einen Strategiewechsel hin: weg von der physischen Belegkontrolle, hin zur digitalen Erfassung und Überwachung von Transaktionen.
Datenschutz und die Sehnsucht nach dem Schein
Die Diskussion wird auch von grundsätzlichen Erwägungen zum Datenschutz und zur Freiheit der Wahl des Zahlungsmittels begleitet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) aus Berlin betont, dass 75 Prozent der Verbraucher:innen die Wahlmöglichkeit zwischen Bar- und Kartenzahlung wünschen und Bargeld Vorteile wie Datenschutz und Ausgabenkontrolle biete.
Die Sorge vor dem „gläsernen Kunden“ und der Nachverfolgbarkeit jeder Transaktion ist in Deutschland traditionell stark ausgeprägt. Die Deutsche Bundesbank in Frankfurt am Main hat in ihrer Studie „Bargeld der Zukunft“ zwar Szenarien entwickelt, in denen Bargeld nicht verschwindet, aber seine Rolle sich stark wandelt, und betont dessen Eigenschaften wie Privatsphäre, Inklusion und Resilienz.
EU bezeichnet digitalen Euro als datenschutzfreundlich
Im europäischen Kontext ist Deutschland mit seiner starken Bargeldpräferenz eher eine Ausnahme. Länder wie Schweden sind bereits hochgradig digitalisiert, wobei auch dort die schwedische Riksbank in Stockholm die Bedeutung von Bargeld für Inklusion und Notfälle betont. In Norwegen erwägt die Regierung laut einem Bericht von Pymnts sogar Regeln, um die Bargeldzahlung weiterhin zu gewährleisten.
Die Europäische Union treibt ihrerseits mit der Instant Payments Regulation und dem Projekt des digitalen Euro die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs voran. Ein digitaler Euro, so die Hoffnung, könnte eine datenschutzfreundlichere Alternative zu kommerziellen digitalen Bezahldiensten bieten. Das Bundesfinanzministerium in Berlin hebt hervor, dass der Schutz der Privatsphäre beim digitalen Euro zentral sei.
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Was kommt auf uns zu?
Die genaue Ausgestaltung der Akzeptanzpflicht für digitale Zahlungen in Deutschland ist noch unklar. Offen ist, welche digitalen Optionen als „mindestens eine“ gelten werden, ob es Ausnahmen für Kleinstbetriebe geben wird und wie die Kostenfrage für Händler:innen gelöst wird.
Die Debatte zeigt einen tiefgreifenden Wandel im Zahlungsverhalten und in der politischen Steuerung. Für Verbraucher:innen könnte es mehr Bequemlichkeit bedeuten, aber auch mehr Datenspuren. Für Händler:innen stehen Investitionen und Prozessumstellungen an, die sich potenziell durch höhere Umsätze amortisieren könnten – oder eben auch nicht.
Die kommenden Monate werden zeigen, wie die Regierung diesen Spagat zwischen Modernisierungsdruck, Wirtschaftsinteressen und Bürgerrechten meistern will. Eines ist sicher: Die Art, wie wir bezahlen, steht vor einer deutlichen Veränderung.