In Süddänemark geht die weltweit derzeit größte Fertigung von synthetischem Methanol an den Start. Die Schifffahrt und andere Branchen wollen mit der Chemikalie ihren Ausstoß von treibhausrelevanten Gasen senken. Die Kooperation der beteiligten Unternehmen zeigt, wie eine neue Technologie zügig an den Markt gebracht werden kann.
Man riecht wenig im Maschinenraum des Containerfrachters „Laura Maersk“. Zwar ist es hier, tief unter dem Hauptdeck, etwas muffig, aber es fehlt der strenge Geruch von Schweröl und Schiffsdiesel, der zwischen der Hauptmaschine und den Bordaggregaten üblicherweise in der Luft hängt. Die 172 Meter lange „Laura Maersk“ ist mit einer Kapazität von rund 2000 Containereinheiten (TEU) eines von Hunderten sogenannter „Feederschiffe“, die an der Ostsee die Container aus den interkontinentalen Linien von und zu den Zielhäfen verteilen. Doch bei ihrer Taufe im September 2023 war sie das weltweit erste Frachtschiff, das mit Methanol betrieben werden konnte.
An diesem sonnigen Tag liegt die „Laura Maersk“ im kleinen Hafen von Aaabenraa, nicht weit entfernt von der deutsch-dänischen Grenze. Am Morgen hat das Schiff 370 Tonnen Methanol gebunkert – das erste synthetische Methanol, das mithilfe erneuerbarer Energien in der nahegelegenen Raffinerie in Kassø erzeugt wurde. Im Steuerstand des Maschinenraums zeigt Chefingenieur Heino Nielsen eine Probenflasche mit einer klaren Flüssigkeit darin, Methanol aus der Raffinerie in Kassø, die an diesem Tag feierlich eröffnet wird. „Das hier ist zwar auch Alkohol, aber den sollte man auf keinen Fall trinken“, sagt Nielsen. Er selbst hat an der Entwicklung, dem Bau und der Inbetriebnahme der „Laura Maersk“ seit Jahren mitgewirkt. „Im täglichen Betrieb gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Einsatz von Methanol und dem Verbrauch von Schweröl oder Schiffsdiesel“, sagt er. „Bei der Betankung mit Methanol sind die Abläufe und die Sicherheitsvorkehrungen allerdings andere.“ Methanol ist besonders leicht entflammbar.
Für die internationale Schifffahrt ist Methanol – neben Ammoniak und Biodiesel – ein Hoffnungsträger, um – wie geplant – den Ausstoß an treibhausrelevanten Gasen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf null zu reduzieren. Der dänische Maritimkonzern Maersk, die zweitgrößte Container-Linienreederei der Welt, ist Vorreiter beim Bau und Einsatz methanolgetriebener Schiffe. Insgesamt 13 solche Frachter fahren bislang für Maersk, neben der „Laura Maersk“ sind es zwölf deutlich größere Überseefrachter mit jeweils 16.000 TEU Kapazität.
„Synthetisches Methanol ist mehrfach so teuer wie konventionelle Treibstoffe“, sagt Emma Mazhari, die bei Maersk für die energetische Transformation der mehr als 700 Schiffe großen Flotte verantwortlich ist. „Um die Lücke zu schließen, muss zweierlei geschehen: Die Preise für das sogenannte e-Methanol müssen durch eine deutlich höhere internationale Produktion und Nachfrage sinken, und die Preise für die Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid müssen deutlich steigen. Dafür kommt es vor allem auf die internationale Regulierung an, etwa in der EU oder auch bei der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO.“ Maersk will bis zum Jahr 2040 „netto-null“ klimaneutral werden. Das Unternehmen deckt seinen steigenden Bedarf an Methanol – künftig hauptsächlich an synthetischem Methanol – auch bei anderen Herstellern, in Zukunft etwa auch beim chinesischen Energiekonzern Goldwind.
Die Raffinerie in Kassø allerdings ist ein erster großer Schritt zum Aufbau eines Marktes für synthetisches Methanol. Die Flüssigkeit, auch Methylalkohol genannt, ist hochgiftig, sie eignet sich aber nicht nur als Kraftstoff, sie wird auch Grundstoff-Chemikalie etwa zur Herstellung von Kunststoff eingesetzt. In Brasilien etwa wird Methanol in großem Maßstab durch die Vergärung von Biomasse erzeugt. Durch synthetisches Methanol allerdings kann der Ausstoß von Treibhausgasen im Schiffsbetrieb um mehr als 90 Prozent gesenkt werden, verglichen mit dem Einsatz von fossilen Treibstoffen. Bei Biomethanol liegt die Reduktion „nur“ bei etwa 60 bis 70 Prozent.
Innerhalb von nur fünf Jahren wurde das Projekt in Kassø in enger Kooperation zwischen den Unternehmen und der öffentlichen Hand realisiert. Das ist auch für dänische Verhältnisse schnell – und für deutsche erst recht. Rund 200 Gäste sind an diesem Tag zur feierlichen Eröffnung der Raffinerie gekommen. Etwa 42.000 Tonnen jährlich soll die Raffinerie in ihrer ersten Ausbaustufe produzieren. Das ist nicht viel, gemessen zum Beispiel am gesamten Verbrauch der Welt-Schifffahrt, die etwa 300 Millionen Tonnen Schweröl und Schiffsdiesel im Jahr verbrennt und damit rund drei Prozent zum menschengemachten Ausstoß an Treibhausgasen beiträgt. Aber dafür ist die gesamte Produktion aus Kassø von Beginn an fest vermarktet – neben Maersk nehmen auch die dänischen Unternehmen Lego und Novo Nordisk das Methanol aus der Anlage ab. Der Spielzeughersteller Lego und der Pharmakonzern Novo Nordisk wollen damit Kunststoffe fertigen, ohne Chemikalien aus den fossilen Energieträgern Öl oder Erdgas nutzen zu müssen – seien es Zubehör für Lego-Bausätze oder auch Injektionsstifte für Diabetiker.
Investoren in Kassø sind das dänische Unternehmen European Energy und der japanische Industriekonzern Mitsui. Den Strom für die Raffinerie werde man „zu etwa 90 Prozent“ aus dem eigenen Solarpark neben der Anlage beziehen, sagt Knud Erik Andersen, der Chef von European Energy. „Wir gehen davon aus, dass wir vom zweiten Betriebsjahr an profitabel arbeiten können.“ Der stromintensive Betrieb der Raffinerie und der 304 Megawatt starke Solarpark sollen auch dazu beitragen, das Stromnetz zu stabilisieren. Dänemark verzeichnete 2024 innerhalb der Europäischen Union den Spitzenwert von 83 Nettostromerzeugung aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Windkraft, aber auch aus Biomasse und Solaranlagen. An einer Erweiterung der Raffinerie arbeite man bereits, sagt Andersen. Man werde „mit dem Markt wachsen“.
Drei Elektrolysanlagen von Siemens Energy mit insgesamt 52 Megawatt Leistung erzeugen in Kassø „grünen“ Wasserstoff. Der wird mit Kohlendioxid (CO2) zu Methanol verbunden. Das CO2 bezieht Kassø aus einer nahegelegenen Biogasanlage. Biogas spielt in Dänemark – wegen der großen Schweinezuchtanlagen – eine erhebliche Rolle. Die Abwärme aus der Raffinerie in Kassø soll künftig die Kommune Aabenraa in ihrer Nahwärmeversorgung nutzen. „Dieses Projekt erfüllt alle Voraussetzungen für die Schaffung eines nachhaltigen E-Fuel-Marktes: engagierte Partner, öffentliche Förderung, innovative Technologie und vor allem zukunftsorientierte Abnehmer“, sagt Anne-Laure de Chammard, Vorständin von Siemens Energy. „Wir haben dieses Projekt von Anfang an unterstützt und sind stolz darauf, dass unsere Elektrolyseure eine Schlüsselrolle bei der Produktion von grünem Wasserstoff und E-Methanol spielen werden. Projekte und Partnerschaften wie diese sind für die Energiewende unverzichtbar.“
Die „Laura Maersk“ läuft am Abend, nach Eröffnung der Raffinerie, wieder aus Aabenraa aus. Weniger als eine Tonne Methanol braucht das Schiff in der Stunde bei normaler Fahrt mit zehn bis elf Knoten (rund 20 Stundenkilometern) Geschwindigkeit. Bis zu 2,5 Tonnen Methanol in der Stunde wären es bei der Spitzengeschwindigkeit von 16,5 Knoten. Gestartet wird der Verbrennungsprozess in der rund 14.000 PS starken Hauptmaschine mit Biodiesel, danach schaltet die Besatzung im Maschinenraum auf Methanol um. Insgesamt rund 3600 Tonnen Methanol und etwa 1000 Tonnen Biodiesel verbraucht die „Laura Maersk“ im Jahr auf ihren Runden zwischen den Häfen von Hamburg, Bremerhaven und Aarhus. Künftig werde man alle zwei Monate zum Tanken nach Aabenraa kommen, sagt Chefingenieur Heino Nielsen. Darauf freue er sich ganz besonders, aber auch die gesamte Besatzung. Schließlich sei die Raffinerie in Kassø „ein internationales Pilotprojekt“.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über Häfen, Schifffahrt und Werften und auch über die deutsche und internationale Energiewirtschaft.