Bisher zeigt sich das Finanzsystem trotz hoher Unsicherheit stabil. Doch das könnte sich ändern, warnt der Chef der Bafin. Zwei Bereiche geraten deswegen jetzt in den Fokus der deutschen Aufsichtsbehörde. Dennoch könne die aktuelle Lage für Europa auch eine Chance bergen.
Zumindest von den politischen Turbulenzen in Berlin kann sich Mark Branson unbeeindruckt zeigen. Den Vertrag des Chefs der deutschen Finanzaufsicht Bafin hatte noch die alte Bundesregierung Ende 2024 vorzeitig bis 2029 verlängert. Dagegen sprach wenig.
Seit seinem Amtsantritt Mitte 2021 hat sich die damals von ihrer unrühmlichen Rolle im Wirecard-Skandal gebeutelte Behörde berappelt und mit mitunter betont robustem Vorgehen Respekt verschafft. Die ganz großen Stürme sind in dieser Zeit aber auch ausgeblieben. Selbst nach der Notrettung der Schweizer Credit Suisse Anfang 2023 hatte sich die Lage rasch wieder beruhigt.
Dass das nicht so bleiben muss, stellt Branson bei der jährlichen Pressekonferenz der Behörde unmissverständlich und eindringlich wie selten in seiner bisherigen Amtszeit klar. Dabei sorgen ihn weniger die hausgemachten Probleme der von der Bafin überwachten Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter. Als potenziellen Quell gravierender Probleme sieht Branson vor allem das Umfeld, in dem sich diese bewegen. Besonders im Fokus: die schwache deutsche Konjunktur und die unberechenbare US-Politik.
Dass die Risikovorsorge für Not leidende Kredite steigen dürfte, hatten zuletzt bereits unter anderem die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) vorausgesagt. Nach aktuellen Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform erreichte die Zahl der Insolvenzen in Europa den höchsten Stand seit 2013, in Deutschland ging sie innerhalb eines Jahres um rund 20 Prozent nach oben. In den Bilanzen der Banken spiegeln sich die Pleiten bisher nur beschränkt wider, die Quoten fauler Kredite sind bei einigen Instituten zwar gestiegen, bewegen sich aber immer noch auf niedrigem Niveau.
Und das soll auch so bleiben. „Wir nehmen nicht wahr, dass die Kreditausfälle auffällig wären“, sagte Sparkassenpräsident Ulrich Reuter erst vor wenigen Wochen. Bei der Deutschen Bank stieg die Risikovorsorge 2024 zwar um rund 20 Prozent, für dieses Jahr sagte Finanzchef James von Moltke angesichts der „stabilen Kreditqualität“ jedoch einen leichten Rückgang voraus.
Und auch bei der Commerzbank fehlen bisher Anzeichen für erhöhte Anspannung. Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen könne die Bank „ein gutes Risikoergebnis“ vorweisen, meinte jüngst ihre Chefin Bettina Orlopp.
Bafin will zwei Sektoren im Auge behalten
Dass sich die Belastungen noch in Grenzen halten, weiß auch die Finanzaufsicht. „Das Anfangsniveau ist sehr niedrig“, sagte der bei der Bafin erst seit wenigen Wochen für die Bankenaufsicht zuständige Exekutivdirektor Nicolas Speer. Zwei Sektoren aber wolle die Behörde besonders im Auge behalten.
Bei der Finanzierung von Gewerbeimmobilien sei keine Entspannung in Sicht, die Tragweite der Verwerfungen hätten manche Banken zu Beginn der Zinswende unterschätzt. Bei Unternehmenskrediten seien die Ausfallraten aktuell noch sehr überschaubar.
Dies könne sich allerdings auch wegen der zusätzlichen Verschärfung der ohnehin schwierigen Situation durch mögliche hohe Einfuhrzölle in die USA rasch ändern. Die „fast tagesaktuelle Diskussion“ müsse die Bafin „eng beobachten“, sagte Speer.
Dabei könnten die Börsenturbulenzen nach der ersten Ankündigung der Zölle Vorboten eines großen Umbruchs mit ungewissem Ausgang sein. „An den Finanzmärkten lösten sich alte Gewissheiten auf“, meint Branson. Zu diesen zähle die Beobachtung, dass Investoren immer in US-Staatsanleihen flüchteten, wenn es kritisch werde.
„In vergangenen Krisen galten sie als der sichere Hafen. Dieses Mal nicht unbedingt“, sagte Branson. So seien die Renditen der Staatsanleihen mit langen Laufzeiten von zehn und 30 Jahren zeitgleich mit den Kursrutschen am Aktienmarkt deutlich gestiegen.
„Es gab eine ausgeprägte Rotation in kürzere Laufzeiten“, sagte Branson. Die Flucht in Qualität habe anders funktioniert als üblich, weil der Markt unter Qualität etwas anderes verstehe als zuvor.
Finanzielle Stabilität der USA
Dass Investoren deshalb bereits die langfristige finanzielle Stabilität der USA bezweifelten, will Branson nicht sagen. Es handele sich noch um eine „Momentaufnahme“. Sollte sich diese wiederholen, sei das jedoch ein „Paradigmenwechsel“, der grundsätzliche Fragen aufwerfe: „Was ist dann eine sichere Anlage? Was ist dann die Alternative?“, sagte er.
Was es für die Stabilität des Finanzsektors hieße, wenn Investoren weltweit den Vereinigten Staaten weniger Vertrauen entgegenbrächten als bisher, vermag Branson nicht abzuschätzen. „Wir wissen es nicht“, sagte er. Sicher sei nur, dass die Unsicherheit „extrem hoch“ bleibe und das Finanzsystem „nicht grenzenlos stabil“ sei.
Für Europa könne die aktuelle Lage aber auch Chancen als Investitionsstandort eröffnen. Dazu müssten aber auch die Aufsichtsbehörden „gezielt unnötige Komplexität in der Regulierung abbauen.“ Branson warb vor allem für mehr „Proportionalität und Klarheit“ und verwies auf bereits im Herbst eingeführte Erleichterungen für kleinere Kreditinstitute.
Weitere Schritte sollen folgen. Dafür nimmt die Bafin offenbar auch einen Konflikt mit der für die Regelsetzung in der Branche verantwortlichen europäischen Aufsichtsbehörde EBA in Kauf. Diese beschlossene Richtlinie zur Nachhaltigkeit sollen nur die deutschen Großbanken umsetzen, kleinere Institute bleiben von dieser Pflicht befreit.
„Den Kampf gegen den Klimawandel werden wir nicht mit Berichten von Kleinbanken gewinnen“, sagte Branson. Dass diese Haltung dem Ziel einer verstärkten Integration des europäischen Finanzmarktes zuwiderlaufen könne, fürchtet er nicht.
Stattdessen sieht er sich als Vorreiter: Deutschland habe Gewicht, sagte der Bafin-Chef. „Wenn wir nicht gegen zu viel Details aufstehen, wer soll es dann tun?“
Cornelius Welp ist Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Er schreibt über Banken, Versicherungen und Finanzinvestoren und Unternehmen.