Der Zugewinnausgleich ist ein zentrales Element des deutschen Ehe- und Familienrechts und regelt den Vermögensausgleich bei Scheidung oder Tod eines Ehepartners. In der Praxis ist er häufig Gegenstand von familienrechtlichen Auseinandersetzungen und spielt eine bedeutende Rolle bei der gerechten Verteilung des während der Ehe erworbenen Vermögens. Im Folgenden bieten wir eine umfassende und detaillierte Darstellung aller relevanten Aspekte des Zugewinnausgleichs.
Grundlagen des gesetzlichen Güterstands – Zugewinngemeinschaft
In Deutschland leben Ehepaare ohne besonderen Ehevertrag automatisch im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Das bedeutet: Während der Ehe bleibt das Vermögen beider Ehegatten getrennt, es erfolgt also keine Vermischung des Eigentums. Erst im Falle einer Scheidung oder beim Tod eines Ehepartners wird geprüft, welcher der beiden Ehegatten einen höheren Vermögenszuwachs, also einen Zugewinn, erzielt hat.
Derjenige Ehepartner, der weniger Zugewinn erzielt hat, erhält einen Ausgleichsanspruch in Geld – dies ist der sogenannte Zugewinnausgleich gemäß § 1378 BGB.
Berechnung des Zugewinnausgleichs – Schritt für Schritt
1. Ermittlung des Anfangsvermögens
Das Anfangsvermögen eines Ehegatten ist das Vermögen, das ihm zum Zeitpunkt der Eheschließung gehört hat. Dazu zählen unter anderem:
Schulden werden hierbei abgezogen. Das Anfangsvermögen kann negativ sein.
2. Ermittlung des Endvermögens
Das Endvermögen ist das Vermögen eines Ehegatten am Tag der Zustellung des Scheidungsantrags. Auch hier werden Schulden abgezogen. Schenkungen oder Erbschaften, die während der Ehe zugeflossen sind, werden dem Anfangsvermögen hinzugerechnet, da sie nicht dem gemeinsamen Vermögensaufbau zuzurechnen sind (§ 1374 Abs. 2 BGB).
3. Berechnung des Zugewinns
Der Zugewinn ergibt sich aus der Differenz zwischen Anfangs- und Endvermögen.
Beispiel:
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Anfangsvermögen Ehemann: 20.000 €
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Endvermögen Ehemann: 150.000 €
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Zugewinn Ehemann: 130.000 €
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Anfangsvermögen Ehefrau: 10.000 €
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Endvermögen Ehefrau: 60.000 €
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Zugewinn Ehefrau: 50.000 €
Zugewinnausgleichsanspruch der Ehefrau:
(130.000 € – 50.000 €) ÷ 2 = 40.000 €
Relevante Besonderheiten und Fallgestaltungen
Erbschaften und Schenkungen
Zuwendungen Dritter, also insbesondere Erbschaften und Schenkungen, fließen nicht in den Zugewinn ein, sondern erhöhen das Anfangsvermögen fiktiv. Dadurch wird verhindert, dass der andere Ehegatte an diesen Vermögenszuwächsen partizipiert.
Negatives Anfangsvermögen
Hat ein Ehegatte bei Eheschließung Schulden, die höher sind als sein Vermögen, spricht man von einem negativen Anfangsvermögen. Dieses wird bei der Berechnung voll berücksichtigt und erhöht rechnerisch den Zugewinn.
Verschwendung und illoyale Vermögensverschiebungen
Wird Vermögen kurz vor der Scheidung verschenkt, versteckt oder zwecklos verschwendet, kann der betroffene Ehepartner einen Antrag auf Ausgleichsanspruch wegen illoyaler Vermögensminderung stellen (§ 1375 Abs. 2 BGB). Typische Beispiele:
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Übertragung von Immobilien auf Dritte
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Schuldenaufnahme ohne wirtschaftlichen Nutzen
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Verlustreiche Spekulationen
Verzicht auf den Zugewinnausgleich – Gütertrennung und Ehevertrag
Ehegatten können durch einen notariellen Ehevertrag von der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft abweichen. Möglich sind:
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Gütertrennung: Es findet kein Zugewinnausgleich statt, jeder Ehepartner behält sein eigenes Vermögen.
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Modifizierte Zugewinngemeinschaft: Der Zugewinnausgleich wird an bestimmte Bedingungen geknüpft, z. B. nur im Falle einer Scheidung, nicht beim Tod.
Ein solcher Verzicht ist nur mit notarieller Beurkundung wirksam (§ 1410 BGB). Paare mit hohem Vermögen, Selbstständige oder Unternehmer wählen häufig diese Form, um das Betriebsvermögen zu schützen.
Zugewinnausgleich im Todesfall
Beim Tod eines Ehegatten wird ebenfalls ein Zugewinnausgleich durchgeführt – automatisch im Rahmen der Erbauseinandersetzung, wenn keine Gütertrennung vereinbart wurde.
Der überlebende Ehegatte kann zwischen zwei Varianten wählen:
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Erbrechtliche Lösung: Er erhält seinen gesetzlichen Erbteil (in der Regel 1/2), welcher bereits den Zugewinnausgleich beinhaltet.
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Zugewinnausgleich in Geld: Er schlägt die Erbschaft aus und verlangt stattdessen den Zugewinnausgleich in Geld, z. B. zur Wahrung eigener Vermögensinteressen.
Steuerliche Auswirkungen des Zugewinnausgleichs
Der Zugewinnausgleich bei Scheidung ist steuerfrei, da es sich nicht um eine entgeltliche Leistung handelt. Dies gilt sowohl für Geldzahlungen als auch für die Übertragung von Vermögenswerten. Bei der Übertragung von Immobilien können jedoch Grunderwerbsteuer und andere Nebenkosten entstehen – eine sorgfältige Prüfung ist unerlässlich.
Beim Zugewinnausgleich im Todesfall sind die Regelungen im Erbschaftsteuerrecht zu beachten. Der durch den Zugewinnausgleich erhöhte Erbteil kann dazu führen, dass Steuerfreibeträge schneller überschritten werden.
Zwangsvollstreckung und Sicherung des Ausgleichsanspruchs
Der Anspruch auf Zugewinnausgleich ist ein schuldrechtlicher Zahlungsanspruch. Wird keine freiwillige Einigung erzielt, muss dieser gerichtlich geltend gemacht werden. Um den Anspruch zu sichern, kann ein Ehepartner während des Scheidungsverfahrens:
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eine Vermögensauskunft verlangen
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einstweilige Verfügungen beantragen
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eine Sicherungshypothek eintragen lassen, wenn Immobilien vorhanden sind
Fazit – Fairer Ausgleich durch rechtzeitige Planung
Der Zugewinnausgleich sorgt für einen gerechten Ausgleich des in der Ehe gemeinsam erworbenen Vermögens, ohne das Eigentum während der Ehe zu vermischen. Wer sich rechtzeitig mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Trennung oder eines Erbfalls auseinandersetzt, kann Konflikte vermeiden und faire Lösungen schaffen.
Eine frühzeitige Beratung durch einen Fachanwalt für Familienrecht sowie ggf. eine notarielle Vereinbarung sind essenziell, um spätere Streitigkeiten und hohe Prozesskosten zu vermeiden.