Hähnchenbrustfilets gehören zu den beliebtesten und preiswertesten Fleischsorten in deutschen Haushalten. Doch das hat seinen Preis: In vielen deutschen Ställen herrscht Tierquälerei.
Tierrechtler der Gruppe ANINOVA e.V. haben Plusminus Bildmaterial zukommen lassen, das einen Eindruck von den Zuständen in der Geflügelzucht vermittelt. Es sind Aufnahmen aus norddeutschen Geflügelmastbetrieben. In den Hallen stehen Zwanzig- bis Dreißigtausend Masthähnchen auf engstem Raum, teilweise auf ihrem eigenen Kot. Und – es fällt auf – viele Tiere können kaum laufen. Die Bilder zeigen Schäden am Skelettapparat.
Der Tierrechtler, von dem die Redaktion die Aufnahmen erhielt, ist Jan Peifer von ANINOVA e.V. Er führt aus, dass es sich hier um Tiere zweier Rassen handele: Ross 308 und Cobb 500, so heißen diese in der Branche. Sie hätten für den Mäster den Vorteil, dass sie möglichst viel und schnell Fleisch ansetzten und so letztlich dem Landwirt einen hohen Profit einbrächten. Er zeigt Aufnahmen von vielen toten und verletzten Tieren im Stall.
Zu 90 Prozent „Explosionshähnchen“
Tatsächlich prägen diese beiden Geflügelrassen den deutschen Geflügelmarkt. Etwas mehr als 620 Millionen Hähnchen wurden im vergangenen Jahr in Deutschland geschlachtet. Bei rund 90 Prozent davon handelt es sich um Hähnchen dieser Rassen, die unter Veterinären auch als „Explosionshähnchen“ bezeichnet werden.
Denn die Agrarindustrie hat es geschafft, dass die Tiere bereits nach fünf Wochen ihr Schlachtgewicht erreichen, also quasi explosionsartig wachsen. Wenn die Tiere also Gelenkschäden aufweisen: Wieso gelangen sie dann in den Lebensmittelkreislauf? Plusminus hat darüber mit einer Amtsveterinärin gesprochen, die anonym über die unzureichenden Kontrollen in den Ställen berichtet.
Sie führt aus, dass gesetzlich vorgesehen ist, dass die Tiere steh- und gehfähig sein müssen, frei von Anzeichen einer Infektionskrankheit, frei von Beschwerden, Leiden, Schmerzen und Schäden. „Man schaut, dass man ein Geräusch macht, dass die Tiere aufstehen, ein paar Schritte gehen und man damit gewissenhaft sagen kann, sie sind steh- und gehfähig.“
Tatsächlich weisen internationale Studien seit Jahren darauf hin, dass die Tiere neben Skelett- und Bewegungsproblemen unter Herz-Kreislauf- sowie Haut- und Federproblemen leiden und wärme- und stressanfällig sind.
Handelt es sich um Qualzuchten?
Aus Sicht der hessischen Landestierschutzbeauftragten Madeleine Martin handelt es sich folglich bei diesen Hähnchenrassen um Qualzuchten. Sie verweist darauf, dass auch die Mortalitätsraten, also die Sterblichkeitsraten, mit fünf bis sieben Prozent sehr hoch seien. Und das seien nur die offiziellen Zahlen.
Sie sagt: „Diese Form der Zucht ist eine definitive Qualzucht und führt zu ganz vielen Problemen beim einzelnen Tier. Diese Qualzuchten während der vergangenen 30 bis 40 Jahre in England und in den USA entstanden. Man weiß schon länger, wie groß die Schäden sind. Man weiß schon länger, wie wir eigentlich züchten müssten, aber wir tun es nicht.“
Tierrechtler wie Jan Peifer von der Tierrechtsgruppe ANINOVA kritisieren vor diesem Hintergrund auch die Geflügelbranche ganz grundsätzlich. Er führt aus, dass man Landwirte, in dem sie auf diese Geflügelrassen setzten, faktisch „Tierquälerei im Stall“ hätten.
In den Niederlanden hat sich der Handel vor Jahren bereits aus genau diesen Gründen von den dort sogenannten Plofkips, als schnell wachsenden Hähnchen, verabschiedet. Auch in Dänemark wird der Handel diese Hähnchenrassen bald nicht mehr anbieten.
Die deutsche Rechtslage – unzureichend
Es stellt sich daher die Frage, warum solche Qualzüchtungen in Deutschland noch erlaubt sind. Denn auch nach dem deutschen Tierschutzgesetz (§ 11b) ist es verboten, „Wirbeltiere zu züchten (…) dass als Folge der Zucht (…) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.“
Da sich dieses Qualzuchtverbot jedoch ausschließlich auf die Zucht bezieht, und nicht auf die Haltung, ist die Mast von Explosionshähnchen damit erlaubt. Die Zucht erfolgte ja im Ausland.
Verwaltungsjuristin Barbara Felde von der deutschen juristischen Vereinigung für Tierschutzrecht sieht daher nur die Lösung, dass der Gesetzgeber im Rahmen einer Rechtsverordnung Abhilfe schafft und auch die Haltung dieser Hähnchenrassen in Deutschland verbietet.
Politik und Handel sehen keinen Handlungsbedarf
Das Bundeslandwirtschaftsministerium sieht hier die Zuständigkeit jedoch bei den Ländern. Die seien für die Kontrolle der landwirtschaftlichen Betriebe zuständig.
Die Geflügelhalter lassen über ihren Zentralverband mitteilen: die genannten „Hähnchenrassen verbinden Tierwohl, Nachhaltigkeit und Produktionseffizienz.“ Ein Umstieg auf langsamer wachsende Rassen würde zu höheren Produktionskosten von 37 bis 38 Prozent führen.
Es geht also letztlich um Wirtschaftlichkeit und nicht um mehr Tierschutz. Einige große Supermarktketten haben inzwischen angekündigt, ab 2030 auf solche „Explosionshähnchen“ zu verzichten.
