Die Offshore-Windkraft ist in vieler Hinsicht die erfolgreichste der erneuerbaren Energien – doch wieder einmal stockt der Ausbau in Deutschland erheblich. Und es bleibt offen, wie die Ziele der kommenden Jahre erreicht werden sollen.
Vor zehn Jahren gab es an den deutschen Küsten an eine gut aufgestellte Offshore-Windkraft-Industrie. Die Unternehmen konnten alles Notwendige in Deutschland herstellen, vom Offshore-Errichterschiff bis hin zu riesigen Konvertern, den Umspannwerken für die Windparks auf See, zudem Windturbinen und deren Fundamente.
Als die damalige Bundesregierung aus Union und SPD den Ausbau der Offshore-Windkraft verlangsamte – vor allem, um die Anstieg der Strompreise zu dämpfen –, geriet die Branche aus dem Tritt. Viele Unternehmen wanderten ab, der Zubau neuer Anlagen sank bis auf Null. „Fadenriss“ nannte die Offshore-Windkraft-Branche diesen Zustand vor einigen Jahren.
In diesem Jahr erlebte die Offshore-Wirtschaft in Deutschland wieder eine Art Fadenriss, doch diesmal vermeiden es die Akteure tunlichst, diesen Zustand auch so zu nennen, um die schwierige Lage nicht noch düsterer darzustellen, als sie es schon ist. „Von jetzt an kann es nur noch aufwärtsgehen, wenn wir zusammenarbeiten“, sagte Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO), am Montag bei einem Online-„Ministertalk“ mit Niedersachsens Energiewende-Minister Christian Meyer (Grüne) und Tobias Goldschmidt (Grüne), Energiewende-Minister in Schleswig-Holstein.
Im ersten Halbjahr wurde keine einzige Offshore-Windturbine im deutschen Teil von Nord- und Ostsee neu an das Stromnetz angeschlossen, wenngleich neue Anlagen auf dem Meer errichtet wurden. Bei einer Auktion des Bundes für neue Offshore-Windparks in der Nordsee ging im August kein einziges Gebot ein. Dabei war die Offshore-Windkraft in ihrer ersten Phase eine Erfolgsgeschichte: Keine der erneuerbaren Energien in Deutschland liefert auf einer vergleichbaren Basis der Technologien konstant mehr Strom, Konflikte mit Anwohnern gibt es nicht, Subventionen braucht die Offshore-Windkraft-Industrie, die längst global agiert, inzwischen nicht mehr.
Nun fürchtet die Offshore-Branche die nächste Auktion des Bundes, die für den Februar geplant ist. Eine weitere Runde mit null Geboten wäre ein Desaster für den Ausbau der Windkraft in den deutschen Seegebieten. „Die Offshore-Industrie darf nicht ins Ausland vertrieben werden. Zehntausende Arbeitsplätze in Niedersachsen hängen an dieser wachsenden Branche“, sagte Minister Meyer. „Ministerin Reiche darf das nicht kaputtmachen.“ Energiepolitiker der Grünen und der SPD aus den Küstenländern werfen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vor, „die Erneuerbaren auf See auszubremsen“, wie es Meyer formulierte. Sein Kollege Goldschmidt kritisierte Reiches „energiepolitischen Schlendrian“.
Viele Beobachter, so auch Meyer, fürchten, die Offshore-Wirtschaft könnte derart beschädigt werden, „wie die Solarindustrie“. Die war am Ende der Nullerjahre, nach einem erfolgreichen Aufbau in Deutschland, weitgehend nach China abgewandert, das seine eigene Solarindustrie massiv subventioniert hatte. Um eine ähnliche Erosion zu verhindern, die auch am Offshore-Windkraft-Markt bereits begonnen hat, fordern Küstenpolitiker und die Windkraft-Branche, in Abstimmung mit der EU einen zumindest klar definierten europäischen Anteil an der Wertschöpfung bei der Ausstattung von Offshore-Windparks.
Die von Ende 2021 bis Anfang 2025 im Bund regierende Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte die Offshore-Ausbauziele nach den Jahren des „Fadenrisses“ drastisch angehoben, auf 30 Gigawatt bis 2030, 40 Gigawatt bis 2035 und 70 Gigawatt bis 2045. Dass die Offshore-Wirtschaft diese Ziele noch erreichen kann, speziell bis 2030, glaubt heutzutage niemand mehr ernsthaft. Derzeit sind in den deutschen Seegebieten rund 1650 Windturbinen mit insgesamt etwa neun Gigawatt Leistung am Netz.
Mit dem Turboprogramm der Ampelkoalition war die Offshore-Branche völlig überfordert. In Deutschland fehlen Schwerlastflächen zum Aufbau von Offshore-Windparks vor allem an der Nordsee, es fehlen Fachkräfte und Systemhersteller speziell für die Offshore-Konverter. Die Umspannwerke für die deutschen Offshore-Windparks kommen heutzutage aus Asien und bestenfalls von der Dragados-Werft in Spanien. Die Meyer Werft in Papenburg liefert Dragados als Subunternehmer Teile für Offshore-Konverter des Dortmunder Netzbetreibers Amprion zu. Eine eigenständige Konverterfertigung konnte Meyer trotz jahrelanger Diskussionen und Planungen bislang aber nicht aufbauen.
Um wieder Tritt zu fassen, müssen die Gewinner der Auktionen, darunter auch Energiekonzerne wie Shell und BP, ihre Projekte tatsächlich auch umsetzen. Dabei gibt es heutzutage mannigfaltige neue Hindernisse: Die geplanten Flächen sind mittlerweile so weit von der Küste entfernt, dass ein neues Rettungssystem für die Menschen aufgebaut werden muss, die künftig in den Windparks arbeiten sollen. Der Bund und die Branche konnten sich bisher aber nicht darüber verständigen, wer das bezahlt. Ein anderes Problem schafft die teils enge Planung der Flächen für neue Offshore-Windparks durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg: Die Anlagen würden bei der Realisierung der Vorgaben auf der Nordsee so dicht stehen, dass sie sich durch „Verschattung“ gegenseitig den Wind wegnähmen.
Um die wirtschaftlichen Risiken der Milliarden Euro teuren neuen Offshore-Windparks besser zu verteilen, drängt die Branche auf die Einführung sogenannter „Contracts for difference“ durch den Bund. Dabei wird ein fester Strompreis zwischen dem Staat und dem Betreiber eines Windparks vereinbart. Liegt der tatsächliche Marktpreis darunter, gleicht der Staat die Differenz aus. Steigt der Marktpreis jedoch über den vereinbarten Preis, muss der Betreiber die Mehrerlöse an den Staat abführen. Ob sich die Bundesregierung absehbar auf das Modell einlässt, ist unklar. Bedarf für große, gut kalkulierbare Mengen an Windstrom ist gerade bei der energieintensiven Industrie, aber auch bei den Betreibern etwa von Rechenzentren reichlich vorhanden – das ist die Basis für Direktverträge zwischen Stromabnehmern und Betreibern von Offshore-Windparks.
Die Landespolitik in den Küstenländern und die Offshore-Windkraft-Branche drängen darauf, dass der Bund vor der nächsten Offshore-Auktion zunächst wesentliche Regulierungen für den Markt an die neuen Erfordernisse anpasst. Andernfalls, so Christian Meyer, „droht eine weitere Auktionsrunde ohne Gebote wie im August. Das wäre ein fatales Signal für die Branche und muss unbedingt verhindert werden. Eine Verschiebung könne insbesondere dann sinnvoll sein, wenn sie der Optimierung der Flächenplanung, grünen Leitmärkten, der Stabilisierung der Marktbedingungen und einem neuen belastbaren Ausschreibungsdesign dient.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit vielen Jahren über die Offshore-Windkraft-Branche.
