Das Auto fährt scheinbar von Geisterhand, gesteuert wird es über eine Leitstelle. Möglich macht das die neue Fernlenkverordnung. Welche Chancen und Risiken die neue Technologie birgt.
Fahrzeuge, die aus der Ferne gesteuert werden, ohne Fahrer an Bord: Was nach Science-Fiction klingt, ist auf deutschen Straßen jetzt erlaubt. Teleoperiertes Fahren nennt sich die Technologie und funktioniert so: Das Telefahrzeug, ein ganz normales Auto, ist mit Kameras und Sensoren ausgestattet.
Kilometer entfernt sitzt ein Fernlenker oder eine Fernlenkerin in einer Leitstelle, ausgestattet mit Lenkrad, Pedalen und mehreren Bildschirmen. Hierauf werden nun die Daten des Fahrzeugs mittels stabiler Internetverbindung übertragen, sodass der Fernlenker den Verkehr in Echtzeit im Blick hat und das Fahrzeug über die Distanz sicher navigieren kann. Er trägt die volle Verantwortung und bleibt im Falle eines Unfalls auch haftbar.
Ferngesteuerte Autos – in Lebensgröße
Im US-Bundesstaat Nevada ist teleoperiertes Fahren schon länger erlaubt. Das Berliner Start-up „Vay Technology“ hat seine fahrerlosen Mietwagen in Las Vegas daher schon ganz regulär im Einsatz. Per App können Kunden den Mietwagen bestellen, das Fahrzeug kommt führerlos direkt vor die Haustür. Nach der Fahrt übernimmt wieder der Telefahrer.
Mit der neuen Fernlenkverordnung ist das nun auch in Deutschland möglich. Allerdings zunächst in einer auf fünf Jahre angelegten Testphase, gebunden an strenge Auflagen, behördliche Genehmigungen und begrenzt auf ausgewiesene Betriebszonen. Damit soll die Gefährdung von Personen oder auch Sachschäden ausgeschlossen werden. Denn auch mit Mensch im Hintergrund bleiben technische Risiken. Verfälschte Sicht über die Kamera beispielsweise, Zeitverzug in der Übertragung durch schlechtes Internet oder gar vollständige Verbindungsunterbrechungen.
Zwischen gruselig und cool
Fragt man Passantinnen und Passanten in Stuttgart, was sie vom teleoperierten Fahren halten, fallen die Reaktionen gemischt aus. Ein bisschen gruselig sei es schon, meint eine der Befragten. Aber auch irgendwie cool. Sie könne sich vorstellen, dass beispielsweise die Unfallrate sinke, weil Telefahrer weniger Ablenkungen ausgesetzt sind.
Ein Gewinn vor allem für Senioren wie ihn, findet ein älterer Herr. Zwar fahre er seinen Sportwagen noch immer gern selbst. Wenn das aber eines Tages nicht mehr möglich sei, wäre so ein fremdgesteuertes Fahrzeug doch die Lösung.
Und auch jüngere Befragte sehen Vorteile. Nicht mehr fahrtüchtig nach einer Party? Einfach die Kontrolle an die Telefahrerin abgeben und bequem nach Hause bringen lassen – ideal! „Ich denke, wenn die Zeit gekommen ist, dass die Technik das schafft, dann sollte man das auch probieren“, sagt ein Befragter. Bei aller Aufgeschlossenheit: Die Ersten, die einsteigen, wollen die meisten dann doch nicht sein. Lieber erstmal anderen den Vortritt lassen und abwarten, wie es mit der neuen Technologie so läuft.
Neue Möglichkeiten für viele Branchen
Automobilexperte Stefan Reindl von der Hochschule Nürtingen-Geislingen sieht im teleoperierten Fahren vor allem im Güterverkehr einen echten Gewinn. Paketdienste, Speditionen oder Frachthäfen könnten Transportfahrzeuge gezielter einsetzen. Sie würden Personal und Kosten sparen durch weniger Anfahrten, wegfallende Fahrerwechsel und effizientere Logistik.
Aber auch im Personenverkehr beispielsweise für Car-Sharing-Unternehmen oder Shuttle-Dienste sei die Technologie interessant. Fahrzeuge könnten nach Gebrauch beispielsweise einfacher eingesammelt und zurück zum Depot gebracht werden. Durch gezieltes Ansteuern der Kunden könnte in Ballungszentren knapper Parkraum entlastet werden.
Ob sich teleoperiertes Fahren langfristig im öffentlichen Raum durchsetzt, daran hat Reindl seine Zweifel. Bestenfalls diene es als wichtiger Zwischenschritt hin zum vollautonomen Fahren – der eigentlichen technologischen Revolution, bei der das Fahrzeug durch IT und KI ganz ohne menschliches Zutun durch den Verkehr gesteuert wird.
Brückentechnologie bis zum vollautonomen Fahren
Am Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe wird daran seit Jahren geforscht. Die hier entwickelten Shuttlebusse „Anna“ und „Elsa“ fahren bereits eigenständig – allerdings überwacht auch hier noch immer ein Mensch in einer Leitstelle im Hintergrund. Anders als beim teleoperierten Fahren steuert er nicht per Lenkrad und Pedalen, kann im Notfall aber per Mausklick jederzeit eingreifen. Fernassistenz nennt sich das und geht einen deutlichen Schritt weiter als die Fernlenkung.
Trotzdem verspricht sich das Forschungsteam viel vom neuen Rechtsrahmen. Denn zwischen den Technologien gibt es viele Überschneidungen. Durch den Praxistest im realen Straßenverkehr, so die Hoffnung, lassen sich wichtige Erkenntnisse auch fürs autonome Fahren ableiten. „Je mehr wir testen, forschen, ausprobieren, desto reifer wird die Technologie Tag für Tag“, sagt Marc Heinrich vom FZI.
Zeigen muss sich etwa, ob die Fahrzeuge technisch so weit sind, dass sie bei jedem Witterungszustand und jeder Art von Verkehrsaufkommen mit verschiedenen Verkehrsarten immer gleichermaßen zuverlässig funktionieren, erläutert Stefan Reindl von der Hochschule Nürtingen-Geislingen. Wenn verschiedene Faktoren zusammenkommen, darf das System nicht kollabieren, und es muss besser agieren als ein Mensch.
Kein vollautonomes Fahren vor 2035?
Perspektivisch, so die Hoffnung der Karlsruher Forscher, könnten ihre Shuttlebusse eines Tages ganz ohne menschliches Eingreifen vollautonom in Gegenden zum Einsatz kommen, wo sich Linienverkehr nicht lohnen würde, und Pendlern oder mobilitätseingeschränkten Personen zugutekommen.
Bis es so weit ist, dürfte es noch dauern, so Reindls Prognose: „Ich glaube, wirklich vollautonome Fahrzeuge, die alles können und besser sind, als ein Mensch handeln kann – das werden wir vor 2035 nicht erreichen.“ Bis dahin können wir uns an den Anblick scheinbar führerloser Geisterautos schon mal gewöhnen. Und für Bus- oder Taxifahrer rückt plötzlich Arbeiten aus dem Homeoffice in greifbare Nähe.
